Adieu, Sir Merivel
Wunsch, ich könnte an Gott oder seinen Himmel glauben. Dann, so grübele ich, würde ich in der Hoffnung gehen, dass ich Pearce wiedertreffe, dass er in seiner Quäkerkleidung auf mich wartet und, sobald er mich sieht, auf seine stolpernde Art zu rennen beginnt und meinen Namen ruft: »Merivel! Herzlich willkommen! Ich hätte nicht gedacht, dich hier anzutreffen!«
Ich weiß jedoch, dass mich, wenn ich getötet werde, nicht mein Freund erwartet, sondern nur Dunkelheit. So lebendig komme ich mir vor – in all meinen Stimmungen, in meiner Güte und meiner Schlechtigkeit –, dass es mir nicht gelingen will, mir meine eigene Abwesenheit vorzustellen. Ich kann mir meine Zimmer auf Bidnold nicht ohne mich darin vorstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Cattlebury Mahlzeiten zusammenrührt, die ich nicht essen werde. Ich bin in der Lage, mein Grab vor mir zu sehen, auf dem Friedhofvon Bidnold, mit einem hübschen Grabstein und Blumen und Tannenzweigen darum, doch meinen toten Körper darunter sehe ich nicht. Die Idee der Nichtexistenz erfüllt mich mit Empörung.
Es ist ein sonniger Morgen. Ich laufe durch den Wald, und ich sehe die Bäume mit ihrer herrlich glitzernden Schneelast. Ich bemerke die Spuren von Tieren – Füchsen und Rotwild – und beneide sie um ihre Freiheit und darum, wie sie den Wald in all seiner winterlichen Pracht fröhlich durchstreifen.
Es ist windstill. Die stummen Bäume scheinen uns mitleidig zu beobachten, als wir im Gänsemarsch vorübergehen, ich vorneweg, gefolgt vom Baron, der sich mir als Sekundant angeboten hat und in einen mächtigen Pelz gehüllt ist, was mich unwillkürlich an Clarendon denken lässt.
Wir schreiben den 15. Januar des Jahres 1685, und ich bin achtundfünfzig Jahre alt.
Endlich erreichen wir die Lichtung, wo das Duell stattfinden soll.
Niemand ist dort.
Ich bleibe stehen und wende mich zum Baron um. Ein Rotkehlchen flattert von einem Ast herunter und betrachtet uns. Ich stelle mir vor, wie schrecklich Blut im Schnee aussieht.
Der Baron blickt sich um, und wir horchen auf Schritte, hören aber keine. Ich hebe mein Gesicht zum blauen Himmel und denke: Vielleicht findet am Ende doch kein Duell statt. Der Oberst begibt sich wieder nach Versailles und kann Petrov davon überzeugen, an seine Seite zurückzukehren. Es wird keine Annullierung der Ehe geben. Es wird keine Heirat mit Louise geben …
Der Baron hat eine Flasche Branntwein mitgebracht, er öffnet sie, und wir trinken. Und dann sehen wir zwei Soldaten, die sich auf dem schmalen Pfad schweigend nähern.
Sie haben ihre Paradeuniform angelegt. Während sie uns entgegenkommen, scheint ihnen bewusst zu sein, dass ihre langen Beine dieses grausige Gemetzel mit einem Bild männlicher Vollkommenheit versehen, das nicht zu übertreffen ist. Ich wiederum weiß, dass ich, in meinem schwarzen Rock mit den etwas zu weiten Kniehosen, im Vergleich wie ein bescheidener Bittsteller aussehe, der auf ihr Wohlwollen hofft.
Wir begeben uns in die Mitte der Lichtung, verbeugen uns und reichen einander, wie es Brauch ist, die Hand. Das Gesicht des Oberst ist weiß und hager. Es verrät nichts.
Beck trägt die Waffen. Die beiden Pistolen liegen in einer hölzernen Kiste, die er uns nacheinander hinhält, als böte er uns Zigarren oder Zuckerwerk an. Als ich meine Pistole herausnehme, muss ich an den Wegelagerer auf der Straße nach Dover und an seinen für ihn so unerwarteten Tod denken. Und ich merke, dass ich immer noch nicht weiß, wie dieser Tag enden wird.
Beck holt zwei Kugeln aus seiner Tasche. Er hält sie in der Hand, und das Blei schimmert in der Sonne. Wir nehmen jeder eine und laden unsere Pistolen.
Dann blicke ich plötzlich angstvoll zu Beck, denn er scheint keine Waffe zu tragen. Er fragt mich, ob ich bereit sei, und ich antworte mit Ja, und ich spüre, wie der Baron meinen Arm berührt, bevor die beiden Sekundanten sich zurückziehen.
Nun stehe ich Rücken an Rücken mit Oberst de Flamanville. Auf den ersten Befehl hin haben wir uns mit »großen Schritten« voneinander zu entfernen. Wenn die Sekundanten zehn Schritte gezählt haben, geben sie den zweiten Befehl und rufen Halt. Dann haben wir uns umzudrehen und zu feuern.
Der erste Befehl kommt, und ich marschiere los. Die Pistole wiegt schwer in meiner Hand. Hoch über mir kann ich Saatkrähen hören, die laut schreiend ihre Kreise ziehen.
VIERTER TEIL
Der große Übergang
29
Und wieder durchquere ich Frankreich, dieses Mal in nordwestlicher
Weitere Kostenlose Bücher