Adieu, Sir Merivel
Tränenseligkeit sympathisch machte; sicher hatte er, genau wie ich, im Laufe der Jahre manch Taschentuch verbraucht). Er wischte sich die Augen, legte den einen Arm Margaret und den anderen seinem jüngsten Sohn um die Schultern und hielt aus dem Stegreif eine kurze Rede über die flüchtige Natur menschlichen Glücks und dass man es fangen müsse, und zwar mit einem, wie er sagte, »kühnen Vorstoß«, so wie man einen Schmetterling im Netz fängt.
»Oh, um ihn dann aufzuspießen , wirst du jetzt so fortfahren, Delavigne?«, neckte ihn Lady Delavigne.
»Nein, Hortensia, ganz und gar nicht. Falls du mit ›aufspießen‹ sagen willst, dass ich damit etwas wie beherrschen oder versklaven meine, was ich jedoch nicht hoffe, dann irrst du gewaltig. Denn wann in dreißig Jahren bist du jemals von mir ›aufgespießt‹ worden – außer im Ehebett und auf dein eigenes Verlangen hin?«
»Also wirklich , Delavigne! Welch schockierende Rede in Anwesenheit von Sir Robert!«
»Ich sage nichts Schockierendes. Ich sage nur, dass Glück ein seltenes Gut ist und ergriffen werden sollte, wo es sich bietet.«
»Wie richtig«, sagte Hortensia. »Und darum bitten wir sehr eindringlich.«
Diese Szene hatte die Delavigne-Familie einander sehr nahe gebracht, aber ich konnte nicht umhin, Hortensia Delavigne zu beobachten, die immer noch eine gewisse Schönheit besaß. Ich fragte mich, unter welchen Umständen sich ihr wohl die Gelegenheit »geboten hatte«, das Bett mit dem König zu teilen, und ob sie sie rasch oder zögerlich ergriffen hatte und was sie wohl später darüber dachte.
Ich war überzeugt, dass auch sie wissen musste – es zumindest vermutete –, dass Julius der Sohn des Königs war, aber dreiundzwanzig Jahre lang kein Wort davon hatte verlauten lassen, nicht einmal, um irgendwelche Vorteile von Seiner Majestät zu erlangen. Und ich dachte, das verrate nur Gutes über ihren Charakter und ihre Liebe zu Delavigne.
Dann kam der König herein, und wir begannen, voller Begeisterung Bassette zu spielen. Dieses Kartenspiel, ein wahres divertissement , beruht so gut wie gar nicht auf Geschick, sondern fast ausschließlich auf Glück. Und wir spielten es rücksichtslos, mit hohen Einsätzen und unter großem Gelächter. Das Lachen zauberte wieder ein wenig Farbe in das Gesicht des Königs. Und ich meinerseits war höchst entzückt über eine Glückssträhne, die mir am Ende mehr als zwanzig livres Gewinn einbrachte. Was mich jedoch wieder zum leidigen Thema Geld führte. Ich musste daran denken, dass die Hochzeit auf Bidnold sehr kostspielig werden würde, weil sie äußerst prächtig und im großen Stil gefeiert werden sollte, und ich wusste nicht, wie sich das bewerkstelligen ließ.
Später erschien einer von Fubbsys französischen Sängern und trug uns liebliche Weisen vor, und wir verstummten alle und dachten an die kommende Zeit und was sie uns wohl an Glück und Unglück bringen würde. Und ich sah, dass Fubbsy unterdessen traurig den König anblickte, und dachte, dass sie ihn von all seinen Mätressen vielleicht am meisten geliebt und ihm die größte Freude und den meisten Trost geschenkt hatte. Und es schmerzte mich der Gedanke, dass sie, wenn der König stürbe, vom Herzog von York verstoßen würde. Ihre Gemächer würden anders vergeben werden, und sie verlöre alles an Ansehen und Stand.
Doch so sieht es heutzutage aus. Und so sieht es bei jedem von uns aus. Das ist der Lauf der Welt, ganz gleich, wie hart wir arbeiten und streben. Wir werden niemals wissen, wann uns etwas gegeben und wann es uns genommen wird.
32
Ein seltsames Bild empfing mich am folgenden Morgen: Fubbs, einen veritablen Rosengarten von Papierlockenwicklern auf dem Kopf, die Wangen vom Weinen scharlachrot, beugte sich über mich und flehte mich an, ihr zu helfen.
»Was ist, Euer Gnaden?«, fragte ich.
»Ein neuer Anfall!«, stammelte sie. »Diesmal viel heftiger. Und ich darf nicht zu ihm, sagt Lord Bruce, weil die Königin dort ist. Ihr müsst zu ihm, Merivel. Er ist bewusstlos! Er wacht vielleicht nie mehr auf. Bitte, ich flehe Euch an, geht für mich zu ihm.«
Ich kleidete mich so rasch ich konnte an. Eine von Fubbsys Kammerzofen brachte mir eine Tasse Schokolade, und ich trank sie dankbar. Ich brauchte noch einen Moment, um meine chirurgischen Instrumente zu reinigen, und begab mich dann zu den königlichen Gemächern. Margaret ließ ich bei Fubbs, die halb ohnmächtig war vor Kummer und Angst.
Die Anzahl der Wachen vor der
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