Adiós Hemingway
getötet? Er wusste es bis heute nicht, und das quälte ihn.
Der kräftige Nachmittagsregen hatte Bäume und Rasen erfrischt. Die Luft war feucht und angenehm kühl. Bevor er zum Eingangstor hinunterging, wo Calixto Wache hielt, lenkte er seine Schritte in Richtung Swimmingpool. Er ging um den Teich herum und blieb vor den Gräbern von Black Dogs Vorgängern stehen. Er versuchte sich an den Charakter jedes einzelnen Tieres zu erinnern. Alles hervorragende Hunde, ausnahmslos, insbesondere Nero; aber keiner war so gewesen wie Black Dog.
»Du bist der beste Hund, den ich je gehabt habe«, sagte er zu Black Dog, der zu seinem Herrn gekommen war, als er ihn vor den kleinen Erdhügeln mit den hölzernen Namensschildchen stehen sah.
Er wollte nicht mehr an den Tod denken und nahm seinen Weg wieder auf. Er ging um den Swimmingpool herum bis zu der mit blühenden Kletterpflanzen bedeckten Pergola, die als Umkleidekabine genutzt wurde. Ein Blatt fiel von einem Baum auf das Wasser und verursachte eine leichte Wellenbewegung. Diese kurze Störung der spiegelglatten Oberfläche brachte wieder eine Erinnerung hoch: das frische, strahlende Bild der im Mondschein schwimmenden Adriana Ivancich … Hart war ihn die Erkenntnis angekommen, dass es geboten war, sich von der jungen Frau zu trennen, denn nach dem flüchtigen Abenteuer hätte eine lange Leidenszeit gedroht. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass er sich in die Falsche verliebt hatte. Aber dass er sich diesmal lediglich durch ihre Jugend und ihre vielfältigen Talente hatte aus der Bahn werfen lassen, erkannte er als ersten Fingerzeig auf das unerbittliche Fortschreiten seines eigenen Alters. Nicht mehr lieben, nicht mehr auf die Jagd gehen, nicht mehr trinken oder sich herumprügeln und kaum noch schreiben können – was war dieses Leben überhaupt noch wert? Er strich zärtlich über den Lauf der Thompson und schaute auf die stille Welt zu seinen Füßen. Und da, hinter der Pergola, sah er sie auf einer Fliese leuchten.
Nach einer Weile begriff er, dass es sich weder um einen Bombenangriff noch um einen Hurrikan, sondern um das zweite stürmische Erwachen innerhalb von zwei Tagen handelte.
»He, Conde, ich kann nicht den ganzen Morgen hier verplempern!«, rief die ärgerliche Stimme, während die Fäuste weiter gegen die Holztür hämmerten.
Dreimal musste er den Entschluss fassen, dreimal es versuchen, erst dann gelang es ihm, auf die Füße zu kommen. Ein Knie tat ihm weh, Nacken und Rücken ebenfalls. Was tut dir eigentlich nicht weh, Mario Conde?, fragte er sich. Der Kopf, stellte er erleichtert fest, nachdem er im Geiste sämtliche Körperteile durchgegangen war. Das erstaunlicherweise funktionstüchtige Hirn erinnerte sich durchaus an die vergangene Nacht. Sie hatten gerade das Requiem für eine Flasche Santa Cruz gesungen, als der Hasenzahn gekommen war, mit einem Liter Schnaps als Gastgeschenk, den Pedro der Wikinger selbst braute und verkaufte. Sie hatten die restlichen Maispasteten verschlungen und mit dem Fusel hinuntergespült, und dazu hatten sie Musik von Creedence Clearwater Revival gehört. Auf Drängen des Dünnen hin hatte Mario dann sogar eine seiner Hemingway-Geschichten vorgelesen. Sie handelte von einer Abrechnung unter Freunden, was zu einer neuerlichen Abrechnung mit Marios alten und längst verlorenen literarischen Illusionen geführt hatte. Doch er vertrug wohl nicht mehr so viel Alkohol wie früher. Was solls!, dachte er und wich den Kisten mit den jüngst erworbenen Büchern aus, die auf dem Boden standen. Er erinnerte sich an frühere, ebenso unfriedliche Morgenstunden nach weit turbulenteren, feuchtfröhlicheren Nächten, öffnete die Haustür und sagte: »Halt noch fünf Minuten die Klappe, ja? Nur fünf Minuten. Lass mich erst mal pinkeln und Kaffee kochen.«
Teniente Manuel Palacios war derartige Bitten gewohnt und verhielt sich still. Eine nicht angezündete Zigarette zwischen den Fingern, betrachtete er sorgenvoll die überquellenden Bücherkisten, die überall herumstanden, und ging in die Küche.
El Conde kam gerade aus dem Badezimmer und machte sich ans Kaffeekochen. Schweigend, ohne sich anzusehen, warteten die beiden Männer darauf, dass der Kaffee durchlief. Dann goss Mario zwei Tassen voll, eine große für sich, eine kleine für Manolo. Gierig schlürfte er die heiße Flüssigkeit. Jeder Schluck, der seinen Mund durchspülte, durch seine Kehle floss und ganz tief unten im Magen landete, belebte eine seiner wenigen
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