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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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die Hahnenkämpfe verboten wurden. Die Hähne waren sein Leben.«
    »Meins auch. Scheiße noch mal, erst verbieten sie die Hahnenkämpfe, und dann sterben die Leute weg. Ich weiß gar nicht, was ich hier noch soll. Jetzt, wo ich kaum noch was sehen kann …«
    »Wie alt sind Sie, Toribio?«
    »Einhundertzwei Jahre, drei Monate und achtzehn Tage.«
    El Conde musste lächeln. Er selbst vergaß manchmal sogar sein eigenes Alter. Doch er konnte verstehen, dass für Toribio, »den Geschorenen«, jeder einzelne Tag wichtig war, denn der Countdown bis zur längst überfälligen Abrechnung lief unaufhaltsam. Mario erinnerte sich an den damals bereits alten Toribio, wie er einen Kampfhahn begutachtete. Er hatte die Sporen untersucht, die Flügel ausgebreitet, die kräftigen Muskeln überprüft, sich die Krallen angesehen, den Schnabel aufgesperrt, den Hals abgetastet, und schließlich hatte er das für den Kampf und den Tod bestimmte Tier zärtlich gestreichelt. Marios Großvater Rufino, der nur selten ein lobendes Wort für einen Gegner fand, hatte versichert, Toribio sei einer der besten Kampfhahntrainer Kubas. Aus diesem Grund wohl hatte Hemingway ihn unter Vertrag genommen und viele Jahre hindurch als Betreuer seiner Kampfhähne beschäftigt.
    »Wie lange haben Sie eigentlich für Hemingway gearbeitet?«
    »Einundzwanzig Jahre, bis zu seinem Tod. Ich hab dann seine Hähne übernommen, Papa hat sie mir in seinem Testament vermacht. Ein Vermögen!«
    »War ’n prima Kerl, der Papa, oder?«
    »Ein Scheißkerl war er, aber er hatte was übrig für Hähne. Dafür brauchte er mich, verstehst du?«
    »Und warum war er ein Scheißkerl?«
    Toribio antwortete nicht sogleich. Er schien nachzudenken. El Conde versuchte sich vorzustellen, wie sein hundertjähriges Hirn funktionierte, ein Hirn vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts, vor dem Zeitalter von Computer, Kino, Flugzeug und Kugelschreiber.
    »Einmal ist er wütend geworden und hat einem Hahn den Kopf abgerissen, weil der während des Trainings von einem Kampfplatz der Finca verduftet ist. Da bin ich ausgerastet, und wir haben uns geprügelt. Ich hab ordentlich was abgekriegt, er aber auch. Ich hab ihn angeschrien, er könne sich seine Hähne in den Arsch stecken, er wär ein Verbrecher. So was macht man einfach nicht mit einem Kampfhahn.«
    »Aber wenn die Hähne sich bei so einem Kampf töten, sich die Augen aushacken … Viele opfern ihre Hähne, wenn sie geblendet sind.«
    »Das ist was anderes. Kampf ist Kampf, da geht es Hahn gegen Hahn. Ein Tier opfern, damit es nicht leiden muss, ist eine Sache. Es töten, weil man sich geärgert hat, ist was anderes.«
    »Das ist wahr … Und was geschah danach?«
    »Er hat mir einen Brief geschrieben und sich bei mir entschuldigt. Dabei hat er vergessen, dass ich nicht lesen konnte, so gedankenlos war er … Ich hab ihm verziehen, und er hat einen Lehrer engagiert, der mir Lesen und Schreiben beigebracht hat. Aber ’n Scheißkerl war er trotzdem.«
    Lächelnd zündete Mario sich eine Zigarette an. »Wie sind Sie eigentlich zu dem Spitznamen ›der Geschorene‹ gekommen?«
    »Den haben mir Kampfhahntrainer verpasst, als ich noch ein Junge war. Einmal hat man mir die Haare rasiert, mit so ’ner Maschine zum Pferdescheren, wo die Haare ganz kurz werden und stehen. Und da hat einer von denen gesagt: Guckt euch den an, sieht aus wie ’n geschorener Hahn! Von da an hieß ich immer ›der Geschorene‹, bis heute. Hab ja auch mein ganzes Leben mit Hähnen verbracht …«
    »Mein Großvater hatte großen Respekt vor Ihnen.«
    »Rufino gehörte zu den Besten. Nur geschummelt hat er wie eine Sau, konnte einfach nicht verlieren.«
    »Er hat immer gesagt, wenn man wettet, muss man sicher sein, dass man gewinnt.«
    »Deswegen hat er seine Hähne nie gegen meine antreten lassen! Ich wusste, wie er seine Tiere präpariert. Er hat sich den Hals mit Vaseline eingeschmiert, und wenn die Hähne gebadet und gewogen wurden, hat er sich den Hals gerieben, so als täte er ihm weh. Dann hat er die Hähne genommen, und die waren danach so glatt wie Seife. Der verdammte Betrüger!«
    El Conde musste wieder lächeln. Er liebte diese alten Geschichten über seinen Großvater. Sie versetzten ihn ins Niemandsland seiner Erinnerungen zurück, in die verlorene Welt seiner Kindheit, die dem Glück sehr nahe kam.
    »Und Hemingway, kannte der sich mit Kampfhähnen aus?«
    »Klar kannte der sich aus … Hab ihm ja alles beigebracht.« Toribio versuchte sein Skelett

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