Adiós Hemingway
werden, ohne sie jemals gelesen zu haben.
»Was denkst du von mir, Calixto?«
Der andere sah ihn eine Weile an. »Ich versteh dich nicht, Ernesto.«
»Bin ich ein selbstgefälliger Amerikaner?«
»Wer hat so was Ungeheuerliches gesagt?«
Es machte ihn wütend, dass man ihm vorgeworfen hatte, er lebe auf Kuba, weil das Leben dort billiger und er so oberflächlich und selbstgefällig wie alle Amerikaner sei, die in der Welt herumfuhren und mit ihren Dollars alles kauften, was es zu kaufen gab. Dabei hatten die letzten Berechnungen von Miss Mary ergeben, dass er in den rund zwanzig Jahren auf der Insel fast eine Million Dollar ausgegeben hatte, und er wusste, dass ein Großteil der Summe dafür draufgegangen war, die zweiunddreißig Kubaner zu bezahlen, die sich ihren Lebensunterhalt bei ihm verdienten. Mehrmals hatte er, um die Intriganten in Rage zu bringen, der Presse erklärt, er fühle sich als Kubaner, in Wirklichkeit sei er ein richtiger Kubaner, ein Kubaner von der Straße, sagte er, sozusagen ein Straßenköter wie Black Dog und seine anderen Hunde. Und er hatte dem Ganzen die Krone aufgesetzt, als er seine Nobelpreis-Medaille der Barmherzigen Jungfrau von Cobre widmete. Sie war die Schutzpatronin der Insel und der Fischer von Cojimar, und nirgendwo war die Medaille besser aufgehoben als bei ihr.
Denn den Nobelpreis verdankte er diesen einfachen Menschen, sie hatten ihm die Geschichte eines Fischers geschenkt, der achtundvierzig Tage im Golfstrom gegen das Meer kämpfte, ohne auch nur einen einzigen Fisch mit nach Hause zu bringen, dieser ausgemachte, gottverdammte Pechvogel.
Eigentlich hätte er lieber in Spanien gelebt, näher beim Wein, bei den Stieren und den Bächen, in denen es von Forellen nur so wimmelte, doch das unselige Ende des Bürgerkriegs hatte ihn nach Kuba verschlagen. Eins wusste er sicher: er wollte weder unter einer faschistischen Diktatur noch in seinem eigenen Land leben. Kuba hatte sich als befriedigende Alternative angeboten, und er verdankte der Insel die Geschichten und Figuren vieler seiner Bücher, die er dort hatte schreiben können. Mehr aber nicht. Es war wie ein Übereinkommen gewesen, ein Geschäft, und unversehens ärgerte es ihn wieder, erst jetzt, in einer alkoholisierten Stimmung solchen Unsinn von sich gegeben zu haben wie den, dass er sich als Kubaner fühle, oder gar, dass er ein richtiger Kubaner sei.
»Weißt du, was ich am meisten bedaure?«
»Nein, was?«
»Dass ich so viele Jahre in Kuba gelebt habe, ohne mich jemals in eine Kubanerin verliebt zu haben.«
»Du weißt nicht, was du verpasst hast«, sagte Calixto grinsend und fügte dann hinzu: »Oder was dir erspart geblieben ist.«
»Bist du eigentlich gerne Kubaner, Calixto?«
Calixto sah ihn wieder an und wurde ernst. »Heute versteh ich dich ums Verrecken nicht, Ernesto.«
»Hör nicht auf mein Geschwätz … Ich mach mir nur Sorgen um das hier, weißt du«, sagte er und hielt dem anderen wieder die Blechmarke hin.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich bin ja hier, und später macht Raúl noch einen Kontrollgang, hat er mir gesagt.«
»Ja, ihr seid hier, bei mir, du und Raúl … Aber sag mir: Ist es leicht oder schwer, einen Menschen umzubringen?«
Calixto wurde nervös. Offensichtlich wollte er lieber nicht über die alte Geschichte sprechen. »Für mich wars leicht, zu leicht«, antwortete er schließlich. »Wir hatten gesoffen wie die Stiere, der Kerl ist frech geworden und hat ein Messer rausgeholt, und da hab ich ihm ’ne Kugel verpasst. So einfach war das.«
»Andere sagen, es sei schwer.«
»Und du, was meinst du? Wie war das bei denen, die du getötet hast?«
»Wer hat dir gesagt, dass ich jemanden getötet habe?«
»Weiß ich nicht mehr, die Leute … oder du selbst. Wo du doch an so vielen Kriegen teilgenommen hast … Im Krieg, da bringen Menschen andere Menschen um.«
»Das ist wahr«, sagte er und streichelte den Lauf der Thompson, »aber ich nicht, ich hab nie jemanden umgebracht. Ich habe oft getötet, zu oft, finde ich, aber nie einen Menschen. Obwohl ich glaube, dass ich dazu fähig wäre … Sag mal, Calixto, wenn mir jemand Ärger macht, wärst du dann bereit …«
»Sag so was nicht, Ernesto.«
»Warum nicht?«
»Weil du es nicht verdienst, dass dir irgendjemand Ärger macht. Und weil du mein Freund bist und ich dich verteidigen werde, ja? Aber es ist bestimmt kein Vergnügen, im Knast zu verrecken.«
»Nein, bestimmt nicht. Vergiss, was ich gesagt
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