Adiós Hemingway
Die Huren und Journalisten, die die Stammkundschaft bildeten, versorgten die anderen Gäste mit Neuigkeiten. Er hörte Geschichten aus der Lokalpolitik, über Alkoholschmuggel und Menschenhandel, über Verbrecherbanden, die in der Stadt ihr Unwesen trieben, und so wurde die Idee zu Haben und Nichthaben geboren. Im ›Floridita‹ hörte er übrigens auch Jahre später, dass Calixto wegen Mordes im Gefängnis saß, was er bedauerte, denn er hatte diesen Mann immer sehr geschätzt, vor allem wegen der interessanten Geschichten, die er zu erzählen wusste. Als er sich dann endgültig in Havanna niederließ, wurde er Stammgast im ›Floridita‹, wie seine Journalistenkollegen und Hurenfreundinnen. Und nun hing dort, in Erinnerung an all die von ihm geleerten Gläser und zu Ehren des Nobelpreisträgers und treuen Gastes, eine glänzende Metalltafel. In einem Akt der Dankbarkeit für jenen Ort, an dem der beste Daiquiri Kubas serviert wurde und wo man, unbehelligt von der aggressiven Musik, ohne die der Kubaner anscheinend nicht leben kann, stundenlang ungestört trinken und sich unterhalten konnte, hatte er das ›Floridita‹ zum Schauplatz eines langen Kapitels von Inseln im Strom auserkoren, jenen schmerzlich autobiografischen Roman, den er in der Schublade verschwinden ließ, nachdem die letzte Seite geschrieben war.
Für ihn war dieser Ort ein Glücksfall. Er ersparte es ihm, andere Lokale zu suchen, um das von Havanna kennen zu lernen, was er von Havanna wissen wollte. Dort und in Cojimar und San Francisco de Paula konnte er alles über die Stadt erfahren: wie man aß, wie man trank, wie man liebte, wie man fischte und wie man gegen das tägliche Elend ankämpfte. Der Rest interessierte ihn nicht, denn er war sicher, dass der in Paris oder New York nicht anders war. Das mondäne Leben Havannas kam ihm hohl und großkotzig vor, und er verweigerte sich ihm von Anfang an. Er nahm keine Einladungen an und empfing auf seiner Finca keine lokalen Größen. Auch seine wenigen kubanischen Freunde besuchte er so gut wie nie, und alle Probleme, die ihn nicht direkt betrafen, hielt er sich vom Leib. Wenn er einmal an einem Fest zu seinen Ehren teilnahm, was selten genug passierte, dann tat er es auf seine Art. Als zum Beispiel ein paar reiche Bierfabrikanten für ihn ein Fest organisierten, sagte er nur unter der Bedingung zu, dass alle seine Fischerfreunde aus Cojimar ebenfalls eingeladen wurden. An jenem Abend aßen und tranken die Freunde dank Papas Berühmtheit.
Auch mit den Schriftstellern und Künstlern der Insel verkehrte er nicht. Erstens, weil er keine Schriftsteller zu Freunden haben wollte, und zweitens, weil die Mehrheit der kubanischen Autoren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ihn nicht interessierte, weder als Menschen noch als Künstler. Das Universum seiner literarischen und kulturellen Präferenzen war bereits fest umrissen, und er befürchtete, die kleine Welt der lokalen Schreiberlinge könnte sich zu einem Albtraum entwickeln, wenn er sie in seine Privatsphäre eindringen ließ. Zu viele berufsmäßige Trinker, zu viele französisch angehauchte Dilettanten, zu viele Verrückte, die sich für inspiriert hielten, bevölkerten den tropischen Inselparnass, auf dem es, wie auf jedem Parnass, mehr Feinde als Freunde gab, mehr Verleumder als Bewunderer, mehr missgünstige Neider als treue Kameraden, mehr Möchtegern-Schriftsteller als wirkliche Talente, mehr Opportunisten, Arschkriecher, Trittbrettfahrer und Blutsauger als Menschen, die sich auf ehrliche, schlichte Weise bemühten, Literatur hervorzubringen. Alles genauso wie in New York und Paris. Einige wenige kubanische Schriftsteller kannte er durch ihre Werke und aus vereinzelten Gesprächen, insbesondere den verrückten Serpa und den unerträglichen Novás Calvo. Doch er fühlte sich durchaus in der Lage, aus dem Kuba, wie er es sah, die literarischen Stoffe zu destillieren und sie zu verarbeiten. Dazu musste er nicht Gedanken und Texte mit seinen Kollegen austauschen. Außerdem wusste er nur zu gut, dass viele von ihnen sein distanziertes, überhebliches Verhalten kritisierten, die einen aus Neid, die anderen aus Groll, wieder andere auch wegen einer Abfuhr, die sie sich bei ihm geholt hatten. Er trat ihrem Club nicht bei und hielt es für eine seiner rettenden Erleuchtungen, dass er nie diesem Bedürfnis nachgegeben hatte. Man konnte sehr wohl in Kuba leben, ohne die kubanischen Schriftsteller zu kennen, ja man konnte sogar Präsident der Republik
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