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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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habe.«
    »Als ich aus dem Gefängnis gekommen bin, hab ich mir zwei Dinge geschworen: dass ich nie wieder Alkohol anrühre und dass ich mich nie mehr lebend in eine Zelle sperren lasse.«
    »Und du hast wirklich keinen Alkohol mehr getrunken?«
    »Keinen Tropfen.«
    »Früher hast du mir besser gefallen, Calixto, als wir zusammen Rum getrunken haben und du so wunderbare Geschichten erzählt hast.«
    »Der Meister im Geschichtenerzählen, das bist du, nicht ich …«
    Er sah Calixto an, und wieder wunderte er sich über dessen pechschwarze Haare. »Das ist das Problem! Ich muss immer Geschichten erzählen, aber ich kann nicht mehr. Ich hatte immer einen Sack voller guter Geschichten dabei, aber jetzt ist der Sack leer. Ich schreibe alte Sachen um, weil mir nichts Neues mehr einfällt. Ich bin im Arsch, völlig im Arsch! Alt werden, das hab ich mir anders vorgestellt … Fühlst du dich alt?«
    »Manchmal, ja, sehr alt«, gestand Calixto. »Aber dann hör ich Rancheras und erinnere mich daran, dass ich immer nach Veracruz zurückgehen und dort leben wollte, wenn ich einmal alt bin. Das hilft.«
    »Warum Veracruz?«
    »Das war die erste Stadt außerhalb Kubas, die ich besucht habe. Hier hör ich immer mexikanische Musik, und die Mexikaner hören kubanische Musik. Und die Frauen sind schön, und man isst gut. Aber ich werde nie wieder nach Veracruz kommen, das weiß ich inzwischen. Ich werde hier sterben, als alter Mann. Ohne jemals wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren.«
    »Du hast mir nie von Veracruz erzählt.«
    »Wir haben auch noch nie übers Altwerden gesprochen.«
    »Ja, stimmt. Aber es ist immer noch Zeit, nach Veracruz zu gehen … Ich glaub, ich leg mich jetzt besser schlafen.«
    »Schläfst du gut in letzter Zeit?«
    »Einen Scheiß tu ich! Aber morgen will ich schreiben. Auch wenn mir nichts einfällt, ich muss schreiben. Also, ich geh jetzt. Schreiben ist mein Veracruz.«
    Er lächelte Calixto zu, und sie gaben sich die Hand.
    Dann erhob er sich, wobei er sich auf die Maschinenpistole stützte. Er schaute zurück zur Finca. Es war windstill, und es herrschte tiefe Stille.
    »Gib mit die Waffe, Ernesto.« Calixto war ebenfalls aufgestanden. Er hatte einen Stock zu Hilfe genommen.
    Der Schriftsteller drehte sich um. »Nein«, sagte er.
    »Und wenn die von der Polizei kommen?«
    »Dann werden wir mit ihnen reden. Keiner wandert in den Knast, und du schon gar nicht.«
    »Ich werd noch einen Kontrollgang machen.«
    »Ich glaub, das wird nicht nötig sein. Der, der das hier verloren hat, ist inzwischen über alle Berge.«
    »Sicherheitshalber«, beharrte Calixto.
    »Von mir aus. Also, ich seh dich dann morgen. Komm, Black Dog.«
    Langsam, mit dem Gang eines alten Mannes, begann er den leicht ansteigenden Weg zum Haus hochzugehen. Black Dog an seiner Seite imitierte seinen schleppenden Gang. Calixto sah ihnen hinterher und ging dann wieder zum Eingangstor zurück. Er stellte das Radio an, doch es war ihm jetzt nicht danach, Boleros von Agustín Lara oder Rancheras von José Alfredo Jiménez zu hören. Es machte keinen Spaß mehr. Er stellte den Apparat wieder ab und starrte in die friedliche Nacht der Finca.
     
    »Ja, das war ich, natürlich erinnere ich mich daran. Es war das letzte Mal, dass ich Papa gesehen habe.«
    Der Morgen war noch kühl, doch es wehte kein Lüftchen. Ein Junge aus dem Viertel hatte ihm gesagt, dass Ruperto am Fluss war, am Anlegeplatz. Nachdem er auch noch zwei Fischer gefragt hatte, fand er ihn schließlich unter einem Mandelbaum auf einem Stein sitzend, mit dem Rücken gegen den Stamm gelehnt, im Mund eine riesige, noch nicht angezündete Zigarre, den Blick starr auf das Wäldchen gerichtet, das sich auf der anderen Seite des Flusses erhob. Wenn er fünfzehn Jahre jünger war als Toribio, der Geschorene, dann musste er so um die neunzig sein. Doch er wirkte viel jünger. Oder weniger alt, korrigierte sich El Conde. Wie ein kräftiger alter Mann von achtzig Jahren sah er aus, mit einem offensichtlich teuren Panamahut aus fernen Landen auf dem Kopf.
    El Conde hatte ihn begrüßt und ihm gesagt, er müsse mit ihm reden.
    »Sie wollen mich interviewen?«, fragte der Alte abweisend, ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen.
    »Nein, nur ein wenig reden.«
    »Sicher?« Argwohn gesellte sich zur Unfreundlichkeit.
    »Ganz sicher. Schauen Sie, ich bin unbewaffnet, kein Kassettenrecorder, kein Schreibblock … Ich möchte herausfinden, ob etwas, das mir vor vielen Jahren passiert ist, wie ich

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