Adler schießen nicht
ich knallte die Tür zu und holte sie ein. In zehn Sekunden waren
wir beim Haupteingang.
»Vielleicht haben wir Glück«,
rief ich. »Bis jetzt sitzt uns noch niemand auf den Fersen .«
»Die brauchen sich auch nicht
zu beeilen«, raunte Tess mir atemlos zu. »Dieses ganze verdammte Haus wimmelt
von Geheimgängen. Ich wette, daß schon ein Dutzend Wächter hinter uns her sind.
Bis zum Tor kommen wir nie .«
Wir sprangen drei Marmorstufen
auf einmal hinunter und rannten zum Tor, als die ersten Kugeln über unsere
Köpfe pfiffen. Während wir weiterliefen, blickte ich schnell zurück. Eine ganze
Horde Chinesen, bis an die Zähne bewaffnet, stürmte hinter uns her.
Mitten im Laufen riß ich Tess
mit mir zu Boden. In der nächsten Sekunde brannte ich die Zündschnur an. Mit
einemSchwung warf ich das Dynamit in die ankommende Meute, deckte Tess
mit meinem Körper und wartete.
Die Explosion war stärker, als
ich erwartet hatte. Nach weiteren paar Sekunden hob ich vorsichtig den Kopf.
Wir waren allein. Der Mob war verschwunden, ebenso die Marmorstufen, die Tür
mit den beiden kupfergehämmerten Verschalungen und ein Großteil der Hauptmauer.
Man konnte jetzt direkt in die ungeheure Halle sehen, aber ganz sicher war ich
mir nicht, ob dies eine architektonische Verbesserung war.
Ich sprang auf und riß Tess mit
hoch: »Wir haben immer noch eine ganz schöne Strecke vor uns«, erinnerte ich
sie.
»Das hättest du nicht tun
sollen«, jammerte sie verzweifelt. »Jetzt wissen die Wächter am Tor, daß wir
unbewaffnet sind .«
»Darüber werden wir uns den
Kopf zerbrechen, wenn wir da sind«, schlug ich vor und zog sie rennend mit mir
weiter.
Wir waren zwanzig Meter vor dem
Tor, als Scheinwerfer schlagartig alles in gleißendes Licht tauchten. Ein gutes Dutzend Wächter war in Schützenlinie vor dem Tor
aufgebaut. Jeder hatte einen Revolver in der Hand.
»Andy !« stöhnte Tess. »Andy, was jetzt?«
»Nur ein ganz miserabler
Zauberer hat nicht noch irgendwo einen Trumpf im Ärmel«, tröstete ich sie.
»Bist du wahnsinnig ?«
»Deckung !« herrschte ich sie an und riß sie mit zu Boden. Dann nahm ich die zweite Stange
Dynamit und warf sie in Richtung Tor. Die Explosion war ungeheuerlich, ich
fürchtete um meine Trommelfelle. Gestein und Erdbrocken prasselten auf uns
herunter, dann war es plötzlich totenstill. Die Tore waren in sich
zusammengesunken, und in der Mauer klaffte ein Loch.
Mir fiel ein, daß die Regierung
ein Gesetz gegen Bevölkerungsschwund würde erlassen müssen, wenn ich mir meinen
Weg jedesmal auf diese Weise freisprengen mußte.
Wir rannten hinaus und
erreichten den Wagen. Ich riß den Schlag auf und stieß Tess ins Polster. »Du
fährst«, befahl ich, dann kletterte ich auf den Hintersitz, zog die Breda
hervor und stieß den Lauf durch das Glas des Rückfensters.
Tess startete, und der Wagen
machte einen Satz nach vorn. Durch den Staub, der wie eine Spirale über dem
Palasttor schwebte, erkannte ich zwei oder drei Schemen.
Plötzlich setzte Trommelfeuer
ein, und ein paar Kugeln schlugen in die Karosserie meines Wagens.
Ich kniete mich auf den Sitz,
lud die Breda durch und drückte ab. Die Wächter schwärmten nach allen
Richtungen aus.
Der Wagen sprang wie ein
wildgewordener Mustang über die Schlaglöcher, und ich hatte keine Chance, einen
der Burschen zu treffen. Was ich mit meiner geliebten Breda aber auf jeden Fall
erreichte, war eine entschieden abschreckende Wirkung.
Wir waren an die Abzweigung
gekommen, und Tess jagte wie eine Verrückte die Hauptstraße hinunter.
Ich legte das Maschinengewehr
weg und kletterte nach vorn.
»Zuerst fahren wir nach Hause,
Schatz«, bat ich. »Wir müssen zwei Leute abholen, dann fahren wir nach Aberdeen .«
»Zwei Leute?«
»Ja, Charlie und eine Dame
namens Sadie Green alias Carmen Diaz«, antwortete ich. »Das ist eine lange
Geschichte, sie hat Zeit. Im Augenblick haben wir nur eines zu erledigen, und
zwar blitzschnell: hinaus aus Hongkong !«
»Clinton, Iowah ,
ich komme !« schrie Tess plötzlich.
»He, bist du verletzt ?« fragte ich ängstlich.
»Tödlich!« Ihre nackten
Schultern bebten. »Mir ist eben der Gummi in meinem Schlüpfer gerissen !«
9
Zehn Minuten später brachte
Tess den Wagen mit rauchenden Pneus zum Stehen. Ich schoß ins Haus. Charlie
starrte mich an wie einen Geist. Beinahe hätte ich die Wohnzimmertür aus den
Angeln gerissen.
Sadie, immer noch im Bikini,
saß am Tisch und trank Kaffee.
»Jede Sekunde
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