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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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letztes Aufflackern von Kraft ist, der letzte Gipfel vor dem endgültigen Niedergang.
    Stattdessen ist es Clara, die einen Eindruck erweckt, als hätte sie es bald hinter sich. Vielleicht sagt sie mir vorher noch, wie sie das macht. Ich wälze sie herum, das Hemd rutscht hoch, die Rippen an ihrer Seite bilden eine Treppe, die ich hinaufsteige mit Mittel- und Zeigefinger, Schritt für Schritt. Ihre Lippen stehen leicht offen, ich öffne sie ganz, nähere meine Nase und warte darauf, dass sie ausatmet. Es dauert eine Weile. Dann stinkt es, vom Magen herauf. Ich strecke meine Zunge heraus, so weit ich kann, lecke über ihre Schneidezähne und durch die Furche zwischen Lippen und Zähnen, über das Zahnfleisch, auch innen, und unter ihrer Zunge entlang. Ihr Atem wird nicht besser davon.
    Max, sagt sie leise, mir ist schlecht. Hast du eine Zigarette.
    Ich habe keine, ich muss zur Trafik. Als ich mich dem Tor nähere, erhebt sich der Hund aus irgendeiner Ecke, den hatte ich schon fast vergessen, er schwankt auf mich zu und tritt dabei in einen seiner eigenen Scheißhaufen, die dicht an dicht auf dem schmalen Grasstück verteilt sind. Er folgt mir und hinterlässt auf einem Wegstück von zehn Metern blasser werdende braune Tapser. Neben BILLA ist eine Apotheke, ich überlege, ob ich für Clara etwas kaufen soll, aber ich weiß nicht, was.
    Ich bringe eine Flasche Cola mit und einen Sack Hundefutter, den ich in einer Ecke des Hofs ausleere. Ihn sehe ich erst, als ich mich schon am Ascona vorbeigedrängt habe. Vor Schreck lasse ich die Cola fallen, sie wird explodieren, falls man sie später zu öffnen versucht.
    Ich komme mein Auto abholen, sagt er.
    Er lehnt mit dem Hintern auf der Motorhaube und hat eine selbstgedrehte Zigarette zwischen den Fingern, dünn wie ein Zahnstocher. Ich sehe ihn im Profil, die Sonne hinter ihm lässt das Piercing in der Nasenwurzel aufblitzen, es blendet mich. Daran erkenne ich ihn, es ist Tom. Jacques Chirac begrüßt ihn müde, bevor er sich seinem Futter in der Hofecke zuwendet.
    Irgendwie habe ich häufig an Tom gedacht, schon allein wegen des Autos, an dessen Stoßstange ich mir täglich die Schienbeine stoße und das Clara Sichtschutz bietet, wenn sie in den Ablauf in der Mitte des Hofs pinkelt. Außer dem Piercing sieht aber eigentlich nichts an ihm aus wie Tom, er hat keine Baseballkappe dabei, das Vogelnest ist weg, sein Kopf kahl geschoren.
    Es steht unter dir, sage ich, gute Fahrt.
    Freundlichst, bring er mir bitte auch die Schlüssel.
    Habe ich nicht, die hat das Mädchen.
    Clara.
    Er sagt es mit einer Betonung, als handele es sich bei »Clara« um eine hochgiftige Pilzsorte. Ich versuche, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, aber er zuckt mit dem Kopf hin und her, sich unsichtbare Haarsträhnen aus dem Gesicht schleudernd, und die Sonne scheint mir in die Augen.
    Und wo ist sie, fragt er, die nehme ich auch gleich mit.
    Weiß nicht, sage ich, die hat sich eigentlich seit Tagen nicht bewegt. Die müsste hier irgendwo rumliegen.
    Sportsfreund, sagt er, ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um euch zu finden. Zugegeben, vielleicht saß ich ein bisschen auf der Leitung. Jedenfalls hat der Scheiß hier jetzt ein Ende.
    Mühsam halte ich mich davon ab, mit einem Satz in den Schuppen zu springen. Clara muss da drin sein, ich wüsste nicht, wo sie sonst sein sollte, alleine schafft sie es nicht mehr in die Stadt. Falls sie tatsächlich weg ist, habe ich ein Problem. Solange Tom hier ist, kann ich nicht nachschauen. Wenn ich sie finde und er sie mitzunehmen versucht, müssten wir uns um sie streiten wie zwei Geier um ein totes Tier.
    Ich trete einen Schritt zur Seite, aus der Sonne heraus, und hebe die Hand, um die Augen abzuschirmen. Seine Faust streift nur mein Handgelenk, rutscht ab, und von der Wucht des eigenen Schlags wird er nach vorne gezogen und stolpert an mir vorbei, fast bis in den Schuppen hinein. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er mich schlagen wollte. Jetzt habe ich die Sonne im Rücken. Er keucht wie nach einem Dauerlauf.
    Alle Achtung, sagt er, er sieht wie Iggy Pop aus, aber seine Reaktionen sind voll da.
    Iggy Pops Reaktionen, bemerke ich, sind mit Sicherheit auch immer voll da.
    Sonst weiß ich nichts zu sagen. Er geht zur Tür des Schuppens und schaut hinein, schnuppert in die Luft und verzieht angewidert das Gesicht. Dann lehnt er sich in den Türrahmen.
    So wie du vorgehst, sage ich, schickt dich jedenfalls nicht die Zentrale einer geheimen Macht, um mich zu

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