Adler und Engel (German Edition)
hören. Mir fällt ein, dass ich versuchen könnte, Clara und mich mit einer Überdosis Kokain umzubringen, wie Romeo und Julia, wir würden das schon auf die Reihe kriegen.
Und als Nächstes, sage ich zu ihr, stellst du die ENTSCHEIDENDE Frage.
Eine ganze Weile schon stehe ich frei im Raum wie ein Standbild, einen Fuß vorgespreizt, wenn auch ohne Bronzeschild, ich starre Lisa an und reibe mir dabei mit der Rechten den Ausschlag in meinen Mundwinkeln über das ganze Gesicht. Auf dem Rand des Dielenbodens liegt eine Phalanx angezündeter und vergessener Zigaretten mit langen, gebogenen Ascheschwänzen. Ich bin unruhig. Unter meiner Kleidung zuckt es an den verschiedensten Stellen, wie es manchmal kurz vor dem Einschlafen geschieht, wenn man plötzlich zu Tode erschrickt, sich angegriffen glaubt, dabei hat man sich nur den eigenen Arm um die Ohren geschlagen, weil man im Halbschlaf träumte, einen Ball fangen zu müssen. Oder zu stolpern. Jetzt schlage ich mir zwar nicht selber ins Gesicht. Aber ich öffne die Hose und gehe auf Lisa zu.
Die entscheidende Frage, ahme ich ihre Stimme nach, ist folgende: Warum hat Jessie sich dann erschossen? Warum?
Ich will sie so wenig wie möglich bewegen, ich greife nur ihr rechtes Knie und ziehe es ein wenig zur Seite. Dabei rollt ihr Körper ein paar Zentimeter herum, so dass sie fast auf dem Bauch zu liegen kommt, und als ich es mit ein paar Schubsen nicht schaffe, sie in ihre alte Lage zurückzubringen, lasse ich es dabei bewenden. Ich hätte mit Kreide ihre Umrisse auf dem Boden nachzeichnen sollen, damit ich sie nachher wieder in die Ausgangsposition zurückbringen kann, sie sah wirklich perfekt aus in dieser Lage, einfach perfekt. Ich spucke in meine rechte Hand, es reicht nicht, ich sauge an der Innenseite meiner Backen und denke an eine Zitrone, bis genügend Speichel vorhanden ist, um einen großen Klecks auf meinen Fingerspitzen abzugeben.
Es ist nicht leicht, in sie hineinzukommen. Sie gibt keinen Ton von sich, sie bewegt sich nicht, auch ich bewege mich so wenig wie möglich, gerade mal einen Zentimeter hierhin oder dorthin, ich überlege, ob ich nicht lieber wieder aufstehen soll, das ist mir alles zu allegorisch, ein Impotenter, der versucht, eine Scheintote zu vergewaltigen. Die Ameisenfrauen sehen mir zu. Auch Jacques Chirac sieht zu, mir scheint, mit verwundertem Ausdruck in den Augen. Lisas linkes Schulterblatt sticht unangenehm gegen mein Kinn. Und dann, im gleichen Moment, als ich plötzlich ganz in sie hineinrutsche, weil irgendeine Hautfalte zur Seite geglitten ist und den Eingang freigegeben hat, im gleichen Moment, als plötzlich alles leicht ist und ich durchatmen sollte, fällt mir ein, wie Jessie einmal, als ich unerwartet früh von der Arbeit nach Hause kam, in Küche und Wohnzimmer nicht zu finden war und ich deshalb das Schlafzimmer betrat und sie erst auf den zweiten Blick entdeckte, als ihr Kopf gerade hochrot aus dem Bett auftauchte. Sie lag auf dem Bauch und hatte sich eines der Kopfkissen zwischen die Beine geklemmt, und ich hielt mich am Türrahmen fest und sie warf sich zur Seite und ich sah, dass sie für einen Moment Anstalten machte, eine vorgetäuschte Schlafhaltung einzunehmen, dann aber erkannte, dass das sinnlos war und absolut lächerlich, sich also halb aufrichtete und davon zu faseln begann, sie habe geträumt und im Schlaf ein Pferd geritten. Ich spürte zum ersten Mal echten Ärger gegen sie in mir hochsteigen, ich spürte, dass ich in diesem Moment in der Lage gewesen wäre, ihr Gewalt anzutun, und ich verließ das Zimmer und fing an, in der Küche das Abendessen zuzubereiten. Viel später kam sie nach und setzte sich auf einen der Stühle, mit gesenktem Kopf und abstehendem Haar, und so sehr ich mir das Hirn zermarterte, mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können, um uns beide zu entspannen, um uns das Gefühl zu geben, dass nichts dabei war, denn es war nichts dabei, nur dass ich bisher nie auf den Gedanken gekommen war, dass sie sich selbst befriedigen könnte, obwohl das eigentlich logisch war, ich hatte einfach nur nicht daran gedacht. Mir fiel nicht ein, was es zu sagen gab, und wir aßen schweigend.
Das geht mir durch den Kopf, während ich auf Lisa liege, die Augen auf meine eigenen Handrücken gerichtet, die leicht glänzen, die Finger auf beiden Seiten in ihr Schlüsselbein gehakt, das von der Magerkeit freigelegt ist, ein praktischer Griff. Eher schlaff im Ganzen liege ich auf ihr, sie auch schlaff, wie zwei
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