Adler und Engel (German Edition)
Koteletts kleben wir aufeinander. Ich bewege mich kaum, um nicht wieder aus ihr herauszurutschen, sie bewegt sich gar nicht, ich fühle die Peinlichkeit der Situation. Ihr glänzender kahler Hinterkopf ist dicht vor meinen Augen, warum lässt sie sich das gefallen, denke ich, so schwach kann man gar nicht werden, wenn man noch nicht ganz tot ist, da muss etwas anderes dahinter sein, etwas wie die eiskalte Badewanne von damals. Ein Selbstversuch. Wahrscheinlich ist sie mir gerade unendlich dankbar dafür, dass ich ihr die Möglichkeit gebe, ihren seltsamen Masochismus auszuleben. Der Gedanke macht mir Freude.
Keine Ursache, liebe Lisa, sage ich höflich zu ihrem Hinterkopf.
Es geht trotzdem nicht, ich gebe auf, erhebe mich, meine Knie sind aufgeschunden von den rauhen Bodenbrettern und schmerzen.
Sie ist wach, das habe ich mir doch gedacht, sie hat die Augen unter dem Pagodendach ihrer Wimpern in meine Richtung gewendet, und ich fange ihren heimlichen Blick auf, als ich gerade aus dem Schuppen treten will. Sie und der Hund liegen dicht beieinander, dass sie sich nicht auch noch aneinander festklammern, ist wirklich ein Geschenk. Ich stelle mich in die Hofmitte und breite die Arme aus wie ein Prediger.
Das war ALLES, rufe ich. Alles erzählt! Mehr habe ich nicht. Keine Ahnung, womit wir uns ab jetzt die verdammte Zeit vertreiben sollen!
Alles. Das war das Zauberwort. Sesam öffne dich. Im Schuppen fällt etwas um, Geraschel, dann steht sie da, klammert sich an der Türklinke fest, krumm, aber sie steht, Morgenlicht auf ihrem spiegelnden Schädel.
Alles?, fragt sie.
Alles, sage ich.
Nichts weiter. Viel haben wir uns offensichtlich nicht zu sagen. Sie steht einfach da, geblendet, blinzelnd, sortiert wohl ihre Gedanken, und obwohl es nett ist, sie aufrecht zu sehen, ist mir unbehaglich zumute wegen der Frage, was sie zu den fehlenden Seiten in ihrem Ordner sagen wird, und was, wenn sie realisiert, dass ihre Haare nicht mehr da sind. Ich verlasse den Hof, um mir die Beine zu vertreten. Die Nacht ist vorbei, der Himmel wird trotzdem nicht richtig blau, er ist milchig. Man sieht auch die Sonne nicht.
31 Europa
E ine Mutter stößt ihre beiden Kinder zurück in den Hauseingang, den sie gerade verlassen wollte. Den nächsten entgegenkommenden Passanten erwarte ich mit ausgebreiteten Armen als meinen Killer, er ändert seine Marschroute und wechselt die Straßenseite. An meinem Hemd ist Claras Blut und überall kleben ihre verdammten Haare. Den Zopf ziehe ich aus der Tasche und werfe ihn in den nächsten Gully, ich muss mit dem Schuhabsatz nachhelfen, um ihn durch das Gitter zu pressen. Dann kehre ich um und gehe in den Hof zurück.
Sie hat sich gewaschen und ein sauberes T-Shirt angezogen, Gott weiß, wo sie das gebunkert hatte, und kauert auf der kleinen Mauer, die Ellenbogen auf den Knien und das Kinn in den Händen, irgendwie ist sie über und über weiß, wie ein kahles Christkind oder einer von Jessies zungenlosen Engeln. Ich warte darauf, dass sie zu sprechen beginnt. Den Gefallen tut sie mir nicht.
Lisa, sage ich schließlich, ich halte dich gerade für meine eigene Wahnvorstellung. Das ist kein schönes Gefühl.
Ich, sagt sie, hatte auch eine Menge nicht so schöner Gefühle.
Meine Stimme klingt nüchtern wie im Bäckerladen, und sie kommt gar nicht richtig aus meinem eigenen Kopf, eher von jemand ganz anderem, den ich nicht sehen kann, als stände er immer unmittelbar hinter mir:
Was soll diese plötzliche Auferstehung?
Du hast gesagt, antwortet sie, dass du fertig erzählt hast.
Versuchen wir es anders herum, sage ich. Was sollte dieser Dornröschenschlaf?
Ach, sagt sie, du kommst mit Kranken einfach besser zurecht. Du vertraust nur Schwachen und Hinfälligen. Das gehört zu den Dingen, die ich als Erstes begriffen habe.
Das glaube ich einfach nicht, sage ich.
Dann eben nicht, sagt sie. Hast du mir wirklich ALLES erzählt?
Ich mach dich fertig, sage ich.
Ich weiß nicht, ob es dir auch aufgefallen ist, sagt sie. Aber sämtliche deiner Versuche, jemanden fertig zu machen, sind bisher kläglich gescheitert. Sogar bei dir selber.
Hinter ihr im Gras liegt die Schaufel. Als ich einen Schritt darauf zu mache, wendet sie den Kopf.
Dann ist die Grube da wohl für mich bestimmt?, sagt sie. Und ich dachte, du hättest dir schon mal dein eigenes Grab geschaufelt.
Ich packe den Spatenstiel, hebe ihn über mich in die Luft, Claras heller Schädel unter mir wie ein Frühstücksei, ich weiß, dass ich das
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