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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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beim Rauchen die ganze Hand über Mund und Kinn. Ich wartete noch immer.
    Verdammte Scheiße, sagte er.
    Ich begann zu ahnen, dass er selbst nicht genau wusste, was er hier tat.
    Schickt Herbert dich, fragte ich.
    Spinnst du, sagte er, ich hab den ganzen Scheiß gerade erst erfahren.
    Ein paar Sekunden schwiegen wir, und wider Willen konkretisierte sich in meinem Kopf die Vorstellung, wie ich in Kürze die Wohnung in der Währingerstraße betreten, wieder verlassen und in den Mietwagen steigen würde, wie ich mir an der Tankstelle einen Stadtplan von Leipzig kaufen würde, soweit sie so etwas vorrätig hatten, und damit wäre mein Leben in Wien auch schon zu Ende, mit seinen vielen unerfüllten Versprechungen, und was danach noch kommen konnte, interessierte mich nicht, ich wollte daran nicht teilnehmen. Irgendeine neue Wohnung, irgendein Büro in irgendeiner Außenstelle der Kanzlei, all das ging mich nichts an, es wirkte auf mich wie die bevorstehende Geburtstagsfeier eines entfernten Bekannten, eine Pflichtveranstaltung, die es so bald wie möglich wieder zu verlassen galt. Für einen Moment war es, als wären auf der ganzen Welt die Lichter ausgegangen und sämtliche Geräusche eingestellt worden. Ich bekam schwer Luft, das Rauchen wurde anstrengend.
    Ich hasse das alles, sagte ich.
    Ross packte mich am Kragen.
    Ich habe dich schon immer für einen Versager gehalten, zischte er, aber das übersteigt alles.
    Rufus hat es mir aufgetragen, sagte ich.
    Na und?, sagte er heftig.
    Ich umfasste seinen Unterarm, er war hart wie Metall.
    Mir war nicht einmal klar, keuchte ich, dass Rufus und Herbert sich kennen.
    Wie blöd bist du denn, zischte er, denkst du, den Job hast du wegen deiner schönen blauen Augen bekommen?
    Ich verbrannte ihm mit der Zigarette das Handgelenk, er fluchte unterdrückt, ließ aber nicht los. Ein schwacher Geruch nach verkohlter Menschenhaut erreichte meine Nase. Wie ein Blitz fuhr mir das Adrenalin in den Magen und die Kehle hinauf, es gelang mir, seine Hand zu lösen, ich stieß ihn vor die Brust.
    Wofür dann?
    Du bist damals nach Bari gefahren, sagte er. Du gehörst zu uns. Wir hätten dich gebraucht.
    So ein Schwachsinn, schrie ich.
    Pass auf, sagte er, keine Aufmerksamkeit erregen.
    Wir traten beide einen Schritt zurück. Er rieb sich das Handgelenk an der Hose und zeigte mit der verbundenen auf das Gebäude.
    Sie, sagte er, kann überhaupt nichts dafür. Da drin geht sie kaputt. Ich dachte, du liebst sie, du Arschloch.
    Natürlich liebe ich sie, sagte ich.
    Er schnaubte durch die Nase.
    Mal abgesehen davon, sagte er. Falls du tatsächlich unfähig bist, es ihr zuliebe zu tun, dann hol sie da raus als Unterpfand für deine eigene Laufbahn. Nimm sie mit nach Leipzig, dann hast du eine Chance, dass man dich in Ruhe weiterleben lässt.
    Aber, sagte ich, Rufus hat gesagt …
    Bluff, sagte Ross, es geht um Größeres. Herbert und Rufus haben sich gestritten. Shershah hat sich einen ungünstigen Moment ausgesucht für seinen kleinen Betrug, und es gab eine Menge Leute, die von Anfang an nicht verstanden haben, warum Herbert jemanden wie ihn überhaupt arbeiten lässt. Und sie …
    Er zeigte wieder auf das Gebäude.
    … sie war völlig vergiftet von ihm, sie hätte alles für ihn getan. Davor habe ich Herbert immer gewarnt. Aber Herbert wollte, dass Jessie glücklich ist, wenigstens für eine Zeit in ihrem Leben. Für eine möglichst lange Zeit. Egal, zu welchem Preis.
    Er schnippte seine Zigarette in die Luft.
    Rufus will Ordnung schaffen, sagte er. Jetzt ist Shershah tot, sie ist da drin, und was mit dir passiert, kannst du dir selbst ausrechnen, verstehst du. Überleg’s dir.
    Ich verstand nichts. Außer, dass ich auf irgendeine Weise verarscht worden war. Von Herbert, von Rufus, jetzt gerade von Ross; vielleicht sogar von Jessie.
    Kann ich noch eine, fragte ich.
    Er zündete mir eine weitere Zigarette an.
    Du musst dich beeilen, sagte er, geh da rein und hol sie wieder raus. Sag ihr nicht, dass ich hier war. Ihr müsst zusammenbleiben, das ist für euch beide am besten. Wenn sie mit dir leben will, sorgt Herbert schon dafür, dass es keine Probleme gibt. Hauptsache, ihr verschwindet.
    Und wenn nicht, fragte ich.
    Dann bleibt sie für Monate da drin, sagte Ross, und du wirst Herbert und Rufus beweisen müssen, dass du nichts mit dem Beschiss zu tun hast. Immerhin ward ihr drei schon immer Freunde.
    Das glaubst du doch selbst nicht, sagte ich.
    Auf mich kommt es nicht so sehr an, sagte er. Es

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