Adler und Engel (German Edition)
Rache zu tun.
Auch das mit mir, frage ich.
WAS genau mit dir?, fragt sie zurück.
Ich nicke und lächele: Gut.
Und sonst, frage ich, Sex?
Naja, sagt sie, eher Masturbation mit Anwesenheitspflicht beider Seiten.
Aha, sage ich. Familie?
Was Familie, fragt sie.
Willst du eine Familie, frage ich.
Eine Familie hatte ich schon, als ich klein war, sagt sie.
Geld?, frage ich.
Wenn man nicht drogenabhängig ist, sagt sie, braucht man nicht so viel.
Und was magst du überhaupt, frage ich.
Das Radio, sagt sie. Eines Tages will ich über Satellit raus, weltweit, ich will simultan übersetzt werden in mindestens zwanzig Sprachen, auch die Japaner brauchen mich. Ich will in meinem Glasturm sitzen und mit den Stimmen von zwanzig Dolmetscherinnen in die Nacht hinausschreien: Ruft mich an.
Und dann, frage ich.
Dann, sagt sie, rufen sie an. Alle rufen an. Du ja auch.
Zufällig, sage ich.
Nein, sagt sie, nicht zufällig. Sondern weil ich immer kriege, was ich will. Ich brauche es bloß zu denken und schon wird es gemacht.
Jeder Tag wie Geburtstag, sage ich.
Genau, sagt sie, eigentlich arschlangweilig.
Aber warum, sage ich, bist du dann hier und nicht in deinem Radiosender?
Weil Sommerpause ist, sagt sie.
So ist das also, denke ich. Man lernt nie aus.
Und außerdem …
Jetzt spricht sie leise, so leise, dass ich den Kopf drehen und ihr mein gesundes Ohr zuwenden muss.
Außerdem, sagt sie, gibt es zwei Seiten in mir. Die eine will Radio machen und den Leuten beibringen, wie scheißegal alles ist. Dass nur eine Sache ein bisschen Linderung von der großen, umfassenden Langeweile verschaffen kann: nämlich die Macht über andere Menschen.
Ich fürchte, sage ich, das weiß die Menschheit bereits.
Dann sollen sie aufhören mit der Heuchelei, sagt Clara.
Und die andere Seite?
Meine andere Seite gehört Leuten wie meinem Professor.
Was willst du von ihm?
Er soll es mir schriftlich geben, dass ich nicht nur genauso intelligent bin wie er, sondern auch genauso rücksichtslos.
Wem gegenüber, frage ich.
Natürlich mir selbst gegenüber, sagt sie.
Wahrscheinlich wirst du nicht antworten, wenn ich frage, wozu das gut sein soll.
Ganz recht, sagt sie.
Als der Himmel sich rosa zu verfärben beginnt, spüre ich den Unterschied zwischen meinem Körper und dem Zementboden nicht mehr. Ein leichtes Frösteln kriecht mir über Arme und Beine, fast wie etwas Stoffliches, fast als würde mir eine zweite, sehr dünne Haut übergezogen. Es ist angenehm, ein bisschen zu frieren. Endlich ausgekühlt. Endlich schläft der Hund, ohne zu hecheln. Ich fühle mich erschöpft und ruhig wie am Ende einer dieser Nächte mit Jessie, wenn sie endlich still lag auf der Matratze, während draußen vor dem Fenster Vogelschnipsel in der Wolkensuppe zu kreisen begannen. Dann zwang ich ihr Kinn nach oben, guck, rief ich, guck doch, es wird Tag. Sie nickte und schlief ein. Damals liebte ich das Morgengrauen.
Es ist nicht so, sagt Clara plötzlich, dass ich mir nie die ultimative Frage gestellt hätte.
Ich dachte, sie schliefe. Die Nacht hat langsam die Oberflächenstruktur der Dinge freigegeben, die schwarze Säule rechts von uns hat eine Rinde bekommen und ist zur Kastanie geworden.
Und wie, frage ich, lautet diese Frage?
Wo geh ich her, sagt sie, wo komm ich hin und was zum Teufel soll der ganze Scheiß.
Da hast du ausnahmsweise recht, sage ich, so lautet die Frage.
Sie erhebt sich und geht steifbeinig auf den Schuppen zu. Die Tür knallt hinter ihr ins Schloss. In meinem Zwerchfell beginnt es zu kribbeln, das ist die Angst. Das Geräusch der zuschlagenden Tür beendet die Nacht. Es wird hell werden und heiß.
Ich will sehen, wie es Clara auf ihrer neuen Matratze gefällt, einer flachen, stinkenden Schicht Schaumstoff, die ich im Vorderhaus hinter einer offen stehenden Tür hervorgezogen habe.
Zum Einschlafen hat sie sich lang auf den Bauch gelegt und die Arme nach vorne ausgestreckt, die Finger in den oberen Rand der Matratze gekrallt. Unten ragt ihr linkes Bein weit über den Schaumstoff hinaus, das rechte hat sie angewinkelt. Würde der Boden sich senkrecht stellen, sähe sie aus wie ein Bergsteiger, der gerade eine Steilwand erklimmt. Als wären Träume etwas, das man bezwingen muss.
Manche Menschen, heißt es, beantworten im Schlaf jede Frage wahrheitsgemäß, ohne sich am nächsten Tag auch nur daran erinnern zu können. Bei Jessie hat es nie funktioniert, obwohl ich eine ganze Liste von Fragen zur Hand hatte.
Clara, frage ich
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