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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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vergessen. Sie ist schlaff und schwer wie ein nasser Sack; damit es schneller geht, nehme ich sie auf die Arme, sie legt die Hände um meinen Nacken.
    Ich habe das starke Gefühl, dass sie hellwach ist und simuliert.

18 Halbschlaf
    D as Ding ist noch in durchsichtige Folie gehüllt, und sie trägt es im Arm wie einen am Fluss gefundenen Welpen, den die Mutter mit Sicherheit im nächsten Moment aus dem Haus werfen wird.
    Ich konnte nicht anders, sagt sie, ich brauche das einfach.
    Musst dich nicht entschuldigen, sage ich, das Geld, das du ausgibst, hat mir nie gehört.
    Glücklicherweise antwortet sie nicht darauf, ich habe keine Lust, das Thema zu vertiefen. Sie reißt die Folie ab. Das Gerät ist außerordentlich hässlich, aus Plastik, das vergeblich versucht, mattsilbernes Metall zu imitieren, mit völlig sinnfreien, dunkelblauen und halbdurchsichtigen Aufsätzen an den Seiten. Ein bisschen sieht es aus wie ein Spielzeugaquarium für japanische Kinder, es hat auch ein Display, auf dem man LCD-Fische herumschwimmen und von einer Katzensimulation umbringen lassen könnte.
    Seit Ewigkeiten habe ich keine Musik mehr gehört. Das HiFi-System in unserer Leipziger Wohnung hatte Jessie eines Nachts im Vorbeigehen mit ausgestrecktem Zeigefinger in einem Schaufenster gewählt, und sie allein legte manchmal eine CD ein. Ich benutzte das Gerät nur, wenn sie sich im Schlafzimmer verbarrikadiert hatte und ich nicht reinkommen durfte. Dann setzte ich mich dicht davor und vertrieb mir die Zeit mit Versuchen, durch wechselnde Gesichtsausdrücke den Bewegungsmelder auszulösen, der die Abdeckung des CD-Spielers zur Seite gleiten ließ.
    Clara findet auf Anhieb den Zipfel zum Aufreißen der Klarsichthülle, sie kommt nicht einmal in die Nähe des Punkts, an dem man in einem Wutanfall die ganze CD durchbrechen will wie eine Tafel Rittersport. Wahrscheinlich gehört das zu den Fähigkeiten, die sie in ihrem Job erworben hat. Ihre Finger sind feucht und hinterlassen auf der schillernden Oberfläche Abdrücke, die sofort verdunsten.
    Eine Weile ist nichts zu hören, dann springt ein Schweißbrenner an. Gleich darauf setzen Bässe ein wie das Stampfen einer Autopresse, eine Metallsäge kreischt, es werden Nieten eingeschossen, Rundstücke gedengelt, Schrauben erreichen das Ende ihres Gewindes. Ich höre das geile Klicken vom Entsichern einer Waffe, eine Frau lacht unterdrückt.
    Dann fängt sie an zu singen, ruhig, Eisrauch ausatmend wie ein geöffnetes Gefrierfach, und ich spüre, wie ich mich entspanne. Clara rutscht mit dem Rücken an der Wand auf die Türschwelle hinunter, dreht die Augen nach oben und stöhnt. Ich setze mich neben sie in den Schatten und strecke die Beine aus, so dass meine Unterschenkel und Füße aufgeheizt werden von den Strahlen der Abendsonne.
    I’ll lay down in your ash-tray, singt die Frau, I’m just your Marlboro. Light me up and butt me, you’re sick and beautiful.
    Clara gibt mir eine Zigarette und Feuer. In den letzten Tagen streckt sie mir immer öfter zwei Finger entgegen, damit ich meine Kippe dazwischenschiebe und sie einen Zug nehmen lasse.
    Squeeze me like a lemon, singt die Frau, and mix with alcohol, bounce me hard and dunk me, I’m just your basketball.
    Ich kneife die Augen zusammen und sehe, wie die Rauchschlieren an den Sonnenstrahlen entlangrutschen.
    Watch me like a game-show, singt die Frau, you’re sickening beautiful.
    Zum Kotzen schön, sage ich. Ist dir noch schlecht?
    Mir ist seit zwei Tagen schlecht, sagt Clara.
    Iss mal was, sage ich.
    Daran liegt es nicht, sagt sie, das muss die Stadt sein. Ich glaube, mir wird schlecht von der Stadt.
    Gefällt es dir hier nicht, frage ich.
    Doch, sagt sie, ich liebe es geradezu. Mehr kann ich nicht dazu sagen.
    Ich lasse es gut sein. Sie drückt die Repeat-Taste, das Schweißgerät springt an, Waffen werden entsichert, you’re sick and beautiful.
    Als es endlich dunkel ist, laufe ich mit Jacques Chirac zur Tankstelle, kaufe Rotwein, Wasser, zwei Flaschen Orangensaft, Hundefutter und ein Magnum Weiß.
    Die Weingläser stehen wackelig auf der Wolldecke. Ich kokse auf dem Rücken liegend, schaufele es mir mit dem abgelutschten Eisstiel in die Nasenlöcher. Die Sterne sind blass.
    Vollmond, sagt Clara.
    Was du siehst, sage ich, ist das erleuchtete Schild am hinteren Ende eines Baukrans.
    Ein ständiger Vollmond, sagt sie.
    Nur eben quadratisch, sage ich.
    Ich setze mich auf, trinke etwas Wasser und schleudere die Plastikflasche Richtung Himmel.

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