Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
Vom Netzwerk:
meine Tasche vom Boden und rannte aus der Wohnung, ohne mich noch einmal nach ihr umzudrehen, ließ sie sitzen auf ihrem Stuhl inmitten der leeren Küche, mit meiner Zigarette im Mund und den Überresten ihres Lachens noch auf dem Gesicht. Ich rannte das Treppenhaus hinunter, so schnell ich konnte, ich war schneller als der Klang meiner eigenen Schritte, die mich in knappem Abstand zu verfolgen schienen.
    Dann passiert alles gleichzeitig. Clara steht neben mir, vielleicht steht sie da schon eine Weile, das Band ist zu Ende, die Taste schnappt mit knallendem Geräusch heraus, und ich sehe wieder jemanden auf der Straße, den ich zu kennen glaube, diesmal ist es Maria Huygstetten, und sie sieht auch auf den zweiten Blick noch so aus, kurz bevor sie um eine Ecke biegt mit ihrer aufgetürmten roten Frisur. Ich will ihr nach, aber Clara und der Hund lenken mich ab, sie sind feucht, besonders der Hund, als wären sie tatsächlich am Donaukanal gewesen, und ich frage mich, ob ich geträumt habe, dass die beiden schnurstracks zu Rufus’ Kanzlei gelaufen sind. Ich finde mich schlecht zurecht, wie wenn man nachts aufwacht und die Zimmerwände stehen anders und die Nachttischlampe ist auf der falschen Seite des Bettes.
    Wir können, sagt Clara.
    Was, frage ich.
    Nach Hause, sagt Clara, bist du fertig?
    Ich wüsste nicht, mit was, nicke aber trotzdem.
    Wie geht’s Rufus, frage ich.
    Die Frage überrascht sie nicht.
    Weiß ich nicht, sagt sie, er hat mich nicht vorgelassen.
    Sie nimmt das Tonband aus dem DAT und schiebt es in ihre Tasche, das werden wieder zehn neue Seiten in ihrem Ordner. Sie geht los, langsam, ein wenig gebeugt, und ich ihr einfach hinterher.

21 Schweinehaut
    I ch mache mich schwer auf der Matte bei BILLA, genau vor der elektrischen Schiebetür. Die Tür geht trotzdem nicht auf. Ich hebe beide Fäuste, schlage sie gegen das Glas und lasse sie dort, dann lehne ich auch noch die Stirn an die Scheibe, bumm-bumm-donk, Faust-Faust-Stirn. Es ist also Sonntag. Das war nicht zu erraten, die Straßen sind sowieso immer leer, und die Geräusche, die gedämpft in den Hof dringen und meinem Dämmerzustand eine akustische Grundlage verleihen, waren heute weder leiser noch lauter als sonst.
    Noch einmal klatsche ich beide Handflächen gegen das Glas, trete mit dem Fuß und breche mir dabei fast die Zehen, weil ich vergessen habe, dass ich barfuß bin. Jacques Chirac kommt neben mich und stößt mir die Nase an den Oberschenkel. Jetzt sehe ich drinnen auch die verlassenen Kassen, alles tot, bei ausgeschaltetem Licht.
    Junger Mann, ruft eine Stimme, so kriegen Sie die Tür auch nicht auf.
    Er sitzt ein paar Meter weiter vor einem Ladencafé auf dem einzigen vorhandenen Plastikstuhl und balanciert eine Melange auf den Knien. Irgendein alter Klugscheißer, penetrant genug, um sich nicht einmal bei so mörderischer Hitze Atem und Speichel zu sparen. Einer von denen, die noch dem Teufel gute Ratschläge geben werden, wie er den Spieß zu drehen habe, an dem sie stecken. Neben seinen Füßen steht eine lederne Reisetasche.
    Ich kühle das Gesicht und den schmerzenden Fuß an der Scheibe. In meinem Kopf dröhnt und pocht es, als säßen dort zwei Kolben, die den Rest meines Gehirns verbrennen zur Erzeugung von Bewegungsenergie. Und mit diesen Ressourcen soll ich es jetzt bis zum nächsten geöffneten Tankstellenshop schaffen. Und zurück.
    Na so was, ein Guter. Bist ein Feiner. Dünn geworden.
    Der Alte spricht mit einem Akzent, den ich nicht genau identifizieren kann, das »R« gerollt und die Vokale ein bisschen zu kurz und ein bisschen zu offen. Ich drehe mich um. Der Hund steht zwischen den Knien des Alten, nickend und wedelnd, als begrüßte er einen Bekannten, während dieser mit der Linken die Kaffeetasse in der Luft hält und mit der Rechten Jacques Chiracs Kopfhaut scheuert, dass die weichen Ohren nur so fliegen. Ich frage mich, wer von uns gerade halluziniert, ich oder der Hund. Die Augen des Alten begegnen meinem Blick und er nimmt die Arme an den Körper. Der Hund setzt sich.
    Was wollen Sie denn so dringend in dem Supermarkt, fragt er.
    Er rollt seine Hemdsärmel auf, die mageren Unterarme darunter sind mit leuchtend rosafarbenen Flecken übersät, als würde sich Schweinehaut unter einer dünnen, abblätternden Schicht Mensch verbergen. Sein Haar ist zu lang, dunkel und nur an den Seiten vom Alter gebleicht. Es fällt ihm bis auf den Kragen.
    Ich gehe an ihm vorbei und hole mir drinnen einen Kaffee. Der Laden ist so

Weitere Kostenlose Bücher