Adolescentia Aeterna - Die Entdeckung der Ewigen Jugend
zur Verfügung stellt, die die Brüder und ich benötigen.“
„Hast du dabei Schmerzen?“ Obwohl ihr Blick abgewendet war, ahnte sie, dass das Mitleid von ihrem Gesicht abzulesen war.
Die Frage überraschte ihn offensichtlich. „Ich werde es überleben. … Manchmal gerade so.“
Eva runzelte die Stirn. „Ich verstehe das mit Der Macht immer noch nicht.“
„Küss mich, und du bekommst noch einmal einen genaueren Eindruck von dem Rausch, den sie in dir auslösen kann.“
„Nein, danke! … Wie teilst du Die Macht mit deinen Brüdern?“
„Das Blut, das mir entnommen worden ist - das sich verwandelt hat -, wird in Phiolen gefüllt. Jeder von uns besitzt eine, damit wir im Notfall unser Depot auffüllen können. Nach dem Ritual des Blutabzapfens unterscheide ich mich nicht mehr von einem ‚normalen‘ Bruder. Zumindest eine Zeit lang.“
„Zeigst du mir die Phiole?“
Seine Augen wurden schmal. Dann griff er zu seinem Hals und zog an der Silberkette, bis ein kleiner, durchsichtiger Behälter sichtbar wurde.
Eva streckte die Hand aus und berührte das ungefähr fünf Zentimeter große Glasgefäß. Sie konnte eine Flüssigkeit darin erkennen. Braun, beinahe honigfarben wie Jahrzehnte alter Whiskey. Die Kette war an einer silbernen Verzierung, die sich an der Unterseite der Phiole wiederholte, befestigt. In der Mitte des Glases hatte der Künstler - um den es sich beim Hersteller zweifelsohne handelte - zwei ineinander übergehende As eingefügt. Eine großartige Arbeit. Doch der Inhalt faszinierte sie noch viel mehr.
Er entzog ihr den Behälter und steckte ihn wieder unter sein Hemd. Ihre Enttäuschung war beinahe greifbar.
„Bei Der Macht handelt es sich also um etwas Physisches“, fasste Eva zusammen und trank den Kaffee leer. „Keine geistige Kraft löst sie aus. Wenn man es genau nimmt, dann trinkt ihr Blut … wie Vampire.“
„Wir sind keine Vampire. Haben auch nichts mit ihnen gemeinsam, obwohl manche behaupten, dass unsere Rituale die Legende von den Vampire begründet haben.“
„Trotzdem scheint ihr viel gemeinsam zu haben. Außer dem Blut ist da noch die Aura der Erotik, die euch umgibt, die Unsterblichkeit …“
Julian schüttelte den Kopf. „Keine Unsterblichkeit. Wir sind so leicht zu töten wie jeder andere Mensch auch.“
„… die ewige Jugend, das gute Aussehen …“
„Danke!“ Er grinste.
„Kennst du den Roman ‚Das Bildnis des Dorian Gray‘ von Oscar Wilde?“
Julian nickte. „Ein junger Mann, der nicht altert und dessen Ausschweifungen nicht in seinem Gesicht zu lesen sind. Stattdessen zeigen sich die Auswirkungen seines lasterhaften Lebens auf dem Portrait, das ein Künstler von ihm gemacht hat.“
„Deine einseitige Sicht der Geschichte sollte mich nicht überraschen“, murmelte sie. „Dorian Gray wurde von einem älteren Lebemann mit verdorbenem Charakter verführt, sich zu nehmen, was er wollte. Bis Dorian nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden konnte. Bis er selbst zu einem schlechten Menschen wurde. Bis er andere ins Verderben stürzte.“
„Du versuchst vielleicht Parallelen zu ziehen, doch ich habe noch niemandem geschadet. Zumindest nicht absichtlich. Jeder - und da bildest du keine Ausnahme - hat schon einmal etwas getan, das negative Auswirkungen auf andere hatte. So etwas passiert.“
Sie schwieg. Eva wollte ihm nicht Recht geben. Sie wollte ihn für verrückt halten, ihn vielleicht sogar verachten.
Neuerlich wurde ihr bewusst, wie absurd die Situation war. Sie unterhielt sich mit jemandem über Ewige Jugend ! Über ewiges Leben! Verlor sie den Verstand?
„Erzähl mir von Tommy.“
„Tommy?“ Evas Augen weiteten sich.
„Dein Freund, der einer Sekte beigetreten ist.“
Darüber wollte sie nicht reden. Schon gar nicht mit ihm. Das wollte sie ihm gerade mitteilen, als ein einziges Wort ihre Meinung änderte.
„Bitte.“
Ihr Blick suchte seinen. Das erste Mal bat er sie um etwas, statt zu fordern oder es von ihr zu erpressen.
„Er war meine erste große Liebe“, begann sie schließlich. „Wir kannten uns schon seit unserer Kindheit. Aber ich habe nicht gemerkt, dass er dermaßen den Halt verloren hat.“
„Wenn man jemandem zu nahe steht, sieht man ihn nicht mehr deutlich.“
Langsam nickte sie. „Er hat bereits zwei Monate lang im Bann der Sekte gestanden, als ich die Veränderung nicht mehr ignorieren konnte. Ich habe gekämpft, um ihn bei mir zu behalten, doch ich hatte keine Chance. Tommy verschwand kurz
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