Adorkable - Zwei, die sich hassen und lieben
über eine Klippehinausgerannt ist und realisiert, dass er gleich in eine felsige Schlucht stürzen wird, die von Kaktussen nur so übersät ist. Entschuldigung, Kakteen. Um es kurz zu machen, er sah aus wie ein Junge, dessen gesamter Glaube an die Welt soeben schlagartig in Schutt und Asche gelegt worden war.
Wir standen beide nur da, sprachen kein Wort und starrten einander an. Das Schweigen und Anstarren schien Ewigkeiten anzudauern, und ich wollte wegsehen, aber ich konnte nicht. Es war eine Erleichterung, als Michael Lee die Augen lieber starr auf den Boden richtete, statt mich weiter anzusehen.
»Okay, das musste ja so kommen«, sagte ich ruhig, weil hysterisches Kreischen die Tatsache, dass wir uns geküsst hatten, nicht mehr ungeschehen machen konnte. Dass ich Michael Lee geküsst hatte. Ich konnte nicht anders – ich rieb mir mit dem Handrücken quer über den Mund. »Diese ganze negative Energie zwischen uns – na ja, die musste eben irgendwohin.«
Er runzelte die Stirn und hob dann den Blick, um auf meine Lippen zu starren, als könne er es nicht glauben, dass sein Mund sie noch vor zwei Minuten berührt hatte. »Jaaa, ganz klar. Ich meine, diese ganzen Schlagabtäusche. Das musste ja mal irgendwo enden.« Er schüttelte den Kopf. »Das war so komisch.«
Ich nickte und zog Mary aus seiner Umklammerung. »Und immerhin hast du mich nicht noch mal von meinem Fahrrad geschmissen …«
Das wischte ihm das Stirnrunzeln aus dem Gesicht. »Zum millionsten Mal – ich habe das nicht mit Absicht gemacht!« Endlich konnte er wieder in ganzen Sätzen sprechen.
»Ich weiß. Das war ein Witz. Du weißt doch, was ein Witz ist, oder?« Ich stieg auf Mary und steuerte sie vorsichtig auf denBordstein zu. Mein Knöchel schien der Sache ganz gut gewachsen zu sein. »Also, es ist jedenfalls passiert. Es wird nie wieder passieren, und wenn du es irgendjemandem erzählst, werde ich alles abstreiten.«
»Als ob irgendjemand das jemals glauben würde«, sagte Michael. Dann fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und ruinierte seine Irokesenfrisur. Ärgerlicherweise sah er so zerzaust sehr süß aus, auch wenn es nicht die Art von »süß« war, die mich ansprach. »Schwöre, dass du niemandem etwas sagst.«
»Du weißt wirklich, wie man das Herz eines Mädchens gewinnt«, konterte ich und checkte dabei, ob irgendwelche Autos kamen. Ich war von dem Kuss genauso durch den Wind wie er, aber ganz so sehr hätte er nun auch nicht betonen müssen, wie total abgestoßen er von der Berührung meiner Lippen war. »Aber keine Angst, dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben.«
Ich radelte davon, ohne mich noch einmal umzusehen, und ignorierte dabei sogar den stechenden Schmerz in meinem Knöchel, denn er war bedeutungslos. Wirklich wichtig war nur, mich so weit wie möglich von Michael Lee zu entfernen.
Das war das. Das war es wirklich. Die Tage flogen nur so vorüber. Ich bloggte, ich twitterte, ich beobachtete Trends. Ich hing sogar mit Barney und Scarlett rum, um zu demonstrieren, dass wir drei erwachsene Menschen waren (genau genommen wusste ich, dass ich sehr reif und erwachsen war, Barney hatte immerhin seine Momente, aber ich glaube nicht, dass Scarlett jemals reif und erwachsen sein wird, nicht mal, wenn sie hundertfünf werden sollte).
Barney fand es besonders toll, wenn wir drei in der Schulcafeteria zusammen Mittag aßen. Jeder sollte wissen und auch sehen können, dass zwischen uns alles ultracool und total zivilisiert ablief. Ich glaube außerdem, dass er irgendwie die Vorstellung hatte, er könne mich mit Freundlichkeit und Vorsicht unbemerkt in die Mainstream-Gesellschaft hineinmanövrieren – als ob das eines meiner größten Ziele wäre.
Es half nicht besonders, dass mein Mittagessen aus drei Bechern körnigem Automatenkaffee, einem Bananen-Muffin und etwas saurem Haribo-Mix bestand. Ich war bis fünf Uhr morgens auf den Beinen gewesen und hatte an einem Text zum Thema Jugendbewegungen für ein deutsches Magazin gearbeitet, daher brauchte ich alle künstlichen Stimulanzien, die ich nur kriegen konnte.
Mein Knie hörte nicht auf, gegen das Tischbein zu schlagen, während Barney verzweifelt versuchte, irgendeine Gemeinsamkeit zwischen uns dreien ausfindig zu machen. Ja, Scarlett war zwar nicht ganz die lasche Jammergestalt, für die ich sie ursprünglich gehalten hatte, aber nachdem sie mich bei allen Soaps auf den neuesten Stand gebracht hatte, wusste sie nichts mehr zu sagen. Barney und ich unterhielten
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