Adorkable - Zwei, die sich hassen und lieben
mich klingt das immer noch irgendwie einsam«, sagte ich und Jeane zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht ein bisschen, aber – und das wird dich überraschen – ich bin nicht wirklich eine gesellige Persönlichkeit.« Jeane lächelte mich an, ein breites, verschmitztes Lächeln, für das ich sie sogar noch ein bisschen lieber mochte. Ich war sehr erleichtert, dass sie offensichtlich doch einen Sinn für Humor hatte. »Ich weiß, ich verberge das normalerweise immer sehr gut.«
»Na ja, immerhin bist du eine Persönlichkeit«, sagte ich. »Also, ich finde, das zählt ja schon mal.«
»Ja, zumindest das habe ich halb richtig gemacht.« Sie fingertean dem Ende ihres grauen Pferdeschwanzes herum. »Also fang bitte nicht an, mich in der Schule irgendwie besonders zu beachten. Ich wäre dir wirklich dankbar dafür.«
Eine weitere Welle der Erleichterung drohte mich aus den Latschen zu kippen, aber ich fand, dass noch ein weiterer symbolischer Protest dazugehörte. »Ja, aber …«
Jeane hielt gebieterisch eine Hand hoch. »Ehrlich, du wirst nicht in meiner Achtung sinken, wenn du mich in der Schule ignorierst. Tatsächlich werde ich dadurch eher mehr von dir halten.«
»Also, diese Sache, was auch immer das nun für eine Sache ist, betrifft nur dich und mich, ja? Und es ist einfach eine Kussgeschichte?«
»Na ja, küssen, und wir fassen uns ja eigentlich auch schon eine ganze Menge an, und den Rest können wir ja einfach mal auf uns zukommen lassen«, sagte Jeane. Niemand sonst in meinem Leben war jemals so direkt. Es machte alles so viel einfacher.
Na ja, nun hatten wir also einige Grundregeln für das Küssen und das eine oder andere Anfassen festgelegt, und so gab es eigentlich keinen guten Grund mehr, nicht zu Jeane hinüberzugehen. Ausnahmsweise waren unsere Gesichter, wenn sie auf der Küchenzeile saß, auf der gleichen Höhe, was bedeutete, dass ich mich nicht hinunterbeugen und sie sich nicht den Nacken ausrenken musste, wenn ich sie küsste.
15
In den folgenden Wochen gewöhnte ich mich an das Küssen mit Michael Lee. Es ging sogar noch weiter; ich flippte nicht mehr völlig aus, weil ich ihn küsste. Stattdessen fing ich an, das Küssen mit Michael Lee als eine besondere karmische Belohnung zu betrachten. Statt ein fabelhaftes Kleid am Boden eines Korbes mit 1-Euro-T-Shirts in einem Charity-Shop zu finden oder mein Geld für eine Schachtel Makronen von Maison Blanc zu verprassen, gönnte ich mir montags und mittwochs zur Mittagszeit, donnerstags nach der Schule und mit Fragezeichen an den Sonntagnachmittagen üppige Küssereien mit Michael Lee.
Worin auch immer seine sonstigen Fehler bestanden, dieser Junge wusste, wie man küsste. Und streichelte. Und berührte. Und sich ein kleines bisschen aneinander rieb . Jedes Mal, wenn ich sein Gesicht mit diesen großen, schon fast geschlossenen mandelförmigen Augen sah, seine hübschen Lippen zum Kuss perfekt gespitzt (und seine Wangenknochen … jemand sollte ein Gedicht über seine Wangenknochen schreiben, oh, stimmt, das hat ja schon jemand getan …), die mir immer näher kamen, um mich zu küssen, war alles, was ich denken konnte, dass dies nicht wirklich mir passieren konnte.
Denn ich war ich, und noch nicht einmal meine Mutter (naja, ganz besonders nicht meine Mutter) konnte behaupten, dass ich besonders hübsch oder liebenswert war oder eine gewinnende Persönlichkeit hatte oder in irgendeiner Weise zu der Sorte Mädchen gehörte, die Jungs bekamen, die aussahen wie Michael Lee. Wir passten nicht zusammen, wir eigneten uns nicht füreinander und wir harmonierten nicht miteinander.
Eines Sonntagmorgens, ungefähr zwei Wochen nachdem unser kleines Kussexperiment angelaufen war, konnte ich an nichts anderes denken als an das Richtige und das Falsche daran, obwohl ich mit meiner ganzen Aufmerksamkeit eigentlich besser beim Färben meiner Haare hätte sein sollen. Ich hatte beschlossen, dass es an der Zeit war, mein graues Haar wieder loszuwerden. Jetzt, wo mein mausbrauner Haaransatz wieder durchkam, sah alles wie auf den Kopf gestellt aus. Hinzu kam, dass meine Haare jetzt schon zwei ganze Monate lang grau waren, eine halbe Ewigkeit also, und ich hatte Lust auf eine Veränderung.
Ben hatte mich schon vorgewarnt. Ich würde zuerst Bleiche brauchen, um das Grau aus dem Haar zu bekommen, und er hatte mir alle Mittel aus dem Friseursalon mitgebracht, weil seine Chefin gesagt hatte, dass sie mich niemals wieder in ihrem Laden sehen wolle. Er hatte mir
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