Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
geringerer Auflösung als das erste, denn es wurde mit einer alten 8-mm-Videokamera aufgenommen, die mein Vater um 1993 gekauft hatte. Auf dem Band ist Annie vielleicht drei Jahre alt; sie klettert eine horizontale Leiter entlang, wobei sie mit einer Hand über die andere greift. Unter ihr sind ihre Mutter und ich; wir bemühen uns, nicht ins Bild zu geraten. Annie kichert mit unverfälschter, für Eltern immer wieder herzerwärmender Freude, und Sarah lacht jedes Mal, wenn ihre Tochter kichert.
»Du bist fast da«, ruft sie ermutigend. »Du hast es fast geschafft!«
Ein neuerliches Kichern ist auf der Tonspur zu hören, während Annie ihre dralle kleine Hand ausstreckt und die letzte Querlatte packt. Als ich sie herunterziehe und sie mir auf die Schultern setze, umarmt Sarah uns beide und hebt dann triumphierend die Hand. Zu erschüttert, um sprechen zu können, drehe ich am roten Trackball auf dem Schreibtisch und halte das Video an.
»Penn?«, sagt Caitlin besorgt. »Alles klar?«
»Nicht die Videos machen mir zu schaffen«, behaupte ich, und es kommt der Wahrheit sogar nahe. »Das erste … auf dem wir es miteinander treiben …«
»Ja?«
»Ich wollte nicht, dass Annie es zufällig sieht. Deshalb habe ich es in meinem Bankschließfach verwahrt.«
Caitlin blinzelt und versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Kelly kommt ihr zuvor. »Sands hat diese DVD gebrannt. Oder Quinn. Irgendwann vor heute Nachmittag haben sie die ursprüngliche Disc gefunden, dann diese hier gemacht und das Original ersetzt. Darauf wolltest du doch hinaus?«
»Es ist die einzige Erklärung.«
»Und das Band von dir und Caitlin? Es gab kein Exemplar außer dem in deinem Schließfach?«
»Bestimmt nicht. Also muss ihnen jemand in der Bank geholfen haben, sehe ich das richtig?«
»Nicht unbedingt. Sands könnte ein Fach in derselben Bank besitzen. Er oder Quinn könnten reingegangen sein, um sich eine Box anzusehen, und haben deine aufgebrochen. Wahrscheinlich geschah das, nachdem Sands dich als Bedrohung empfand. Das Gleiche gilt für dein Haus. Dort hat er sich wahrscheinlich die alten Schmalfilme geholt.«
»Das kann nicht sein. Sie waren im Haus meines Vaters.«
»Verstehe. Aber dass er an das Zeug herankam, ist jedenfalls die Botschaft. Obwohl er seine gestohlene Disc zurückbekommen hat, will er dir klarmachen, dass er dich jederzeit und an jedem Ort erwischen kann.«
»Wir sollten uns wohl besser den Rest des Bandes angucken, nur um sicherzugehen.«
Caitlin betrachtet mich. »Bist du sicher, dass du es weiter abspielen willst?«
»Ja. Was ist mit dir?«
»Kelly hat mich nun schon nackt gesehen, was also soll’s? Aber um dich mache ich mir Sorgen.« Ihre Stimme wird ruhig. »Könnte Sarah auf den Bändern sein? Gibt es Dinge, die ich besser nicht sehen sollte?«
Ich nehme ihre Hand, und Kelly wendet den Blick ab. »Ist schon in Ordnung. Was immer die DVD enthält, du kannst es dir anschauen.«
Caitlin schluckt, und ihre Augen werden sanfter. Dann seufzt sie tief und drückt auf die Taste am Trackball.
Auf dem Monitor werden Sarah, Annie und ich durch Schwärze ausgeblendet. Dann erscheint Annie erneut, diesmal allein. Sie ist höchstens zehn Monate alt und sitzt auf den Stufen unseres Hauses in Houston. Zu Anfang blickt sie ins Objektiv, bevor sie die Hände nach jemandem außerhalb des Bildes ausstreckt. Da niemand sie aufhebt, zeigt sich Verwirrung in ihren Augen, und sie beginnt zu weinen. In dem Moment, als Sarahs Hände im Bild auftauchen, um Annie hochzuheben, dröhnt das Kläffen und Knurren rasender Hunde aus den Lautsprechern. Die wilde Kakophonie schleudert mich dreißig Jahre zurück zu dem Abend, als Tim und ich auf dem Friedhof um unser Leben strampelten. Fünf oder sechs Hunde scheinen um irgendetwas zu kämpfen. Dann werden das Knurren und das Reißen von Zähnen durch einen Laut unterbrochen, der mein Blut gefrieren lässt. Jemand schreit – zuerst wie ein Mann, dann wie ein kleiner Junge, der von Wölfen zerfleischt wird. Männerstimmen brüllen im Hintergrund, aber ich kann kein Wort verstehen. Die Schreie werden zu einem Kreischen, immer höher und schriller, bis sie jäh verstummen. Was folgt, kann nur das Geräusch von Tieren sein, die um Fleisch kämpfen. Wir starren schockiert und entsetzt auf den Schirm, der nun blau wird.
»Das ist das Schlimmste, was ich je gehört habe«, sagt Caitlin. »Meint ihr, dass auf der DVD Fingerabdrücke sind?«
»Deine«, entgegne ich. »Diese Typen machen
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