Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
hinten. Aber sie hatte genug gesehen. Am aufschlussreichsten war das Haar. Es hatte zunächst kurz gewirkt, doch als die junge Frau sich entfernte, war Caitlin auf die verräterische Mähne aufmerksam geworden, die unter dem Jackenrand hervorhing. Die andere Sache war das Augen-Make-up des Mädchens. Sie hatte davon doppelt so viel wie nötig getragen, und es schien obendrein von einer Achtjährigen aufgetragen worden zu sein, die ihre halbwüchsige Schwester nachahmen wollte. Diese beiden Beobachtungen ließen Caitlin den Schluss ziehen, dass das Mädchen meinte, sich verkleidet zu haben, und was sie verbergen wollte, war ihre Religion.
Caitlin war fasziniert gewesen, als sie von Penn erfuhr, dass Mississippi die höchste Pro-Kopf-Zahl an Kirchen und gleichzeitig die niedrigste Alphabetisierungsrate besaß. Vor drei Jahren hatte sie diese Statistik als Ausgangspunkt für einen Artikel über charismatische Religionen benutzt. Über Menschen, die in fremden Zungen redeten, und über Gesundbeterei. Das Beunruhigendste bei der Arbeit an der Story war ihr Kontakt zu den jüngeren Mädchen in den Gemeinden gewesen. Offensichtlich sehnten sie sich danach, wie andere Teenager zu sein, doch sie waren in Familien mit Werten des neunzehnten Jahrhunderts – oder zumindest mit solchen der Vor-Eisenhower-Ära des zwanzigsten Jahrhunderts – aufgewachsen. Caitlins Darstellung dieser Kirchen als patriarchalisch und sexistisch hatte etliche Mitglieder erzürnt und manchen der Mädchen Schwierigkeiten im Umgang mit den Pastoren ihrer Gemeinde bereitet, doch Caitlin hatte viele Leser auf eine geschlossene Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft aufmerksam gemacht.
Einige der Frauen, mit denen sie gesprochen hatte, waren ihr weiterhin freundlich gesinnt. Als in Caitlin der Verdacht aufgekeimt war, das Mädchen, das den Brief überbracht hatte, könne der Pfingstkirche angehören, hatte sie ihre Unterlagen im Examiner überprüft und zwei Telefongespräche geführt. Auf der Grundlage von Penns Beschreibung hatte sie sich nach einer hochgewachsenen jungen Frau erkundigt, die in den vergangenen ein, zwei Jahren wahrscheinlich stark abgenommen hatte und möglicherweise in Vidalia arbeitete. Das reichte aus, die beiden erforderlichen Informationen zu erhalten: einen Namen und eine Ortsangabe. Darla McRaney im Bargain Barn am Highway 15.
Zuerst war Caitlin versucht gewesen, Penn über ihre Entdeckung zu unterrichten. Aber dann war ihr klar geworden, dass er sich nur in seiner Stichelei bestätigt sehen würde, sie könne nie von einer Story ablassen. Doch Caitlin hatte sich vorgenommen, Penn sofort zu informieren, wenn ihre Erkundungsfahrt sie näher an Linda Church heranbrachte.
Der Bargain Barn ist ein langes, niedriges Gebäude nahe an der Schnellstraße, das aussieht, als wäre es in der Vergangenheit ein Markenladen gewesen. Während ihres früheren Aufenthalts in Natchez hatte Caitlin das Geschäft nur einmal betreten, doch sie erinnert sich daran, dass hier alles Mögliche verkauft wird – von Bekleidung bis zu Haushaltswaren, von Medikamenten bis zu Ameisengift. Sämtliche Erzeugnisse sind billig und von geringer Qualität.
Nur ein paar Autos stehen auf dem Parkplatz. Caitlin lenkt ihren Wagen in eine Lücke zwischen zwei anderen Fahrzeugen, schließt ab und tritt durch die Glastür in den Laden. Ein älterer Mann in einem orangenen Unterhemd begrüßt sie mit einem verwunderten Lächeln, und sie geht an ihm vorbei in die Kleiderabteilung.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt eine Frau mittleren Alters, die Kleidungsstücke an einem Rundgestell sortiert.
»Ich suche Darla McRaney.«
»Darla ist meistens drüben bei den Haushaltswaren.«
Caitlin schiebt sich rasch durch die leeren Gänge, bis sie in einen Bereich kommt, der mit dünnen Metalltöpfen und nachgemachter Tupperware gefüllt ist. Im nächsten Gang sieht sie Darla McRaneys Kopf über einem Regal mit Mixern. Sie weiß, dass es Darla ist, denn sie muss über eins achtzig groß sein, um über den Mixern sichtbar zu werden.
Caitlin umrundet das Ende des Gangs und nähert sich Darla behutsam wie eine Naturforscherin, die versucht, ein scheues Tier nicht zu erschrecken. Gleichwohl blickt Darla jäh auf, macht einen Schritt zurück und läuft rot an.
»Ich habe Sie nicht gesehen«, sagt sie. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Darla, ich heiße Caitlin. Penn Cage ist ein sehr guter Freund von mir.« Das Mädchen mustert sie ein paar Sekunden lang, ohne zu atmen oder zu
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