Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
Rücktritts ankündigen, und ich werde dich uneingeschränkt unterstützen.«
Labry wendet sich ab und schaut nachdenklich zu dem Zelt über Tims Grab. »Ich bin vierundvierzig Jahre alt, und vielleicht verstehe ich die Welt nicht mehr, Penn. Das Geschäft meines Vaters geht den Bach runter. Wal-Mart und die anderen haben es fast erledigt. Ich wollte es retten, aber das Loch wird immer tiefer.« Seine Wangen röten sich vor Verlegenheit. »All die alten Einzelhandelsläden gehen kaputt. Herrje, wir haben kaum noch eine Handvoll jüdischer Familien in der Stadt, und sie waren mal das Rückgrat des Einzelhandels.«
Ich hatte gehofft, den nächsten Trumpf nicht ausspielen zu müssen, aber Paul lässt mir keine Wahl. »Aber wenn du nicht kandidierst, dann weißt du ja, wer das Amt bekommt.«
Paul erbleicht erneut. »Shad Johnson?«
»Genau.«
»Teufel.«
»Wer weiß, vielleicht wäre es gar nicht so schlecht.«
»Quatsch.« Paul senkt die Stimme. »Ich habe mit Pfarrer Nightingale gesprochen, draußen von der Mandamus-Baptisten-Kirche. Er vertritt einen großen Teil der schwarzen Gemeinschaft, und ihm gefällt es nicht einmal, dass Shad Bezirksstaatsanwalt ist. Weil er Shad nicht über den Weg traut. Ich bin nicht einmal sicher, dass die Schwarzen ihn wählen würden.«
»Sie werden es tun, wenn du nicht antrittst. Aber wenn du kandidierst, werden sie dich wählen. Sie wissen, dass du das Herz am richtigen Fleck hast.«
Labry wendet eine Zeitlang den Blick ab. »Aber wenn du die Dinge, von denen wir geträumt haben, nicht zustande gebracht hast, Penn, welche Chancen habe ich dann?«
»Das ist die falsche Betrachtungsweise. Ich habe zu hoch gezielt. Es wird Zeit, dass jemand mit mehr Überzeugung und anderen Prioritäten einen Versuch macht. Und das bist du. Das wichtigste für die Menschen sind gut bezahlte Arbeitsplätze. Aber es gibt eine Menge andere Dinge, die zu tun sind. Die Eingemeindung von County-Land. Das Durchboxen des Öko-Schutzgebiets am Bach. Die Ratsherren müssen daran gehindert werden, das Kliff mit Wohnwagenparks zu bedecken. Jemand muss Männer wie Hans Necker umgarnen. Du verstehst dich doppelt so gut wie ich auf solche Dinge. Sei ehrlich, Paul. Willst du den Posten nicht?«
Labry schaut zu Boden und dreht die Schuhspitze ins Gras. »Nach dem, was ich in den letzten Jahren erlebt habe, ist es die Aufgabe des Bürgermeisters, mit Leuten umzugehen, die sich für etwas Besonderes halten.«
»Und sind sie das etwa nicht? Wenn jemand noch daran glaubt, dann bist du es doch wohl.«
»Mag sein. Aber sie sind auch nicht wichtiger als jeder andere.«
»Ich bin kein Politiker, Paul. Deshalb habe ich in Houston nie als Bezirksstaatsanwalt kandidiert. Ich war im tiefsten Innern Jurist. Und nun bin ich Romanautor, und das hat mich wahrscheinlich verdorben. Wenn man ein Buch schreibt, hat man die völlige Kontrolle über das Universum und alle, die darin leben. Als Bürgermeister einer Stadt dagegen hat man Glück, wenn man die Kontrolle über sich selbst behält, von den anderen gar nicht zu reden.«
Labry tritt auf eine niedrige Betonmauer und macht eine ausladende Bewegung über den gesamten Friedhof hinweg. »Sieh dir das an. Jewish Hill, Catholic Hill, dazwischen Protestanten. Colored Ground. Babyland, wo die Babys unverheirateter Mütter begraben werden, wenn sie sterben. Wir wollen unbedingt voneinander getrennt sein, sogar im Tod. Es ist eine Frage der Stammeszugehörigkeit, und nicht bloß im Süden.« Paul dreht sich und zeigt auf den hinteren Teil des Friedhofs. »Aber die Wahrheit ist dort drüben hinter dem Catholic Hill zu finden, in dem dichten Wald. Dort, auf dem Armenfriedhof, sind dreitausend Tote verscharrt worden. In der Dunkelheit unter den Bäumen gibt es keine Trennung. Die Wurzeln wachsen durch alle hindurch, ohne Unterschied.«
»Ich bin nicht sicher, worauf du hinauswillst. Aber es klingt jedenfalls nicht so, als hättest du allzu viel Interesse daran, Bürgermeister zu werden.«
»Vor Gott sind wir alle gleich«, sagt Labry. »Darauf will ich hinaus. Aber niemand auf diesem Planeten scheint es zu verstehen. Alle begehen Sünden, Penn. Das ist der große Gleichmacher. Nicht der Tod. Die Sünde.«
»Ich hatte mir eine eindeutige Antwort erhofft.«
Labry späht eine Weile in den Wald hinein. Dann springt er unvermittelt von der Mauer herunter und blickt grinsend zu mir auf. »Ach was, ich tu’s. Ich werde der beste Bürgermeister sein, den diese Stadt je gehabt hat,
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