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Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl

Titel: Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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der Tür zur Mittelstufe aus.
    »Vielleicht hast du das wegen unseres Gesprächs gestern Abend geträumt. Was meinst du?«
    »Ich weiß nicht. Aber als ich das letzte Mal von Caitlin geträumt habe, mussten Grandma und ich uns außerhalb der Stadt verstecken.«
    Ich tätschle ihr Knie und drücke es dann besänftigend. »Das hatte nichts mit deinem Traum zu tun, sondern mit meiner Arbeit.«
    Annie betrachtet mich eine Zeitlang skeptisch. »Hast du ihr erzählt, worüber wir gestern Abend gesprochen haben?«
    »Ein bisschen. Heute werden wir noch etwas ausführlicher darüber reden, glaube ich.«
    »Glaubst du? Oder weißt du es?«
    »Wir sind noch nicht sicher. Manchmal braucht man Zeit, um große Dinge wie dieses zu klären.«
    Annie blickt hinunter auf das Handschuhfach und nickt rasch und entschlossen, als fürchte sie, ihre Stimme könne versagen, wenn sie mich beim Sprechen anschaut. »Hast du ihr gesagt, dass ich sie als meine Mom haben möchte?«
    »Wolltest du denn, dass ich es sage?«
    »Hast du’s gesagt?«
    Ich seufze resigniert, denn ich weiß, dass sie mir in diesem Spiel überlegen ist. »Nein.«
    »Gut. Ich hab Angst, dass es sie erschrecken könnte.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Na ja, sie will wahrscheinlich eigene Babys haben und nicht denken, dass sie nur meine Mom ist.«
    Annies Furcht vor Zurückweisung treibt mir Tränen in die Augen. Ich drücke ihre Hand. »Darf ich dir ein Geheimnis verraten? Ich glaube, dass Caitlin immer deine Mom sein wollte.«
    Sie schaut mit weit aufgerissenen, schutzlosen Augen zu mir auf. »Wirklich?«
    »Caitlin hat versucht, all die Dinge zu tun, die Mom getan hätte, wenn sie noch am Leben wäre. Wahrscheinlich macht sie sich Sorgen, weil du denken könntest, dass sie Moms Platz einnehmen will.«
    Annie steht der Mund offen. »Aber das denke ich doch gar nicht!«
    So scharfsinnig, wie sie bisweilen ist, überrascht es mich, dass Annie die Beziehung zwischen ihrem Traum und den Geschehnissen in unserem Leben nicht erkennt. »Das ist das Schwierige bei solchen Dingen. Die Menschen haben Angst, ihre wirklichen Gefühle auszudrücken, und manchmal warten sie zu lange.«
    »Hast du das auch schon mal getan? Zu lange gewartet?«
    »Ich weiß es nicht. Hoffentlich nicht. Ich glaube, wir werden alles auf die Reihe kriegen.«
    Ich hebe den Blick und sehe keine Autos mehr vor der Tür. Eine der Lehrerinnen bemerkt uns und winkt freundlich.
    »Du wirst dich verspäten, Baby.«
    Annie nimmt meine Hand und umklammert sie. »Spielt keine Rolle, Dad.«
    »Stimmt. Du hast recht.«
    »Dann los«, fordert sie mich munter auf, als wären alle Probleme gelöst. »Wie Grandma immer sagt: ›Irgendwie kommt schon alles in Ordnung.‹«
    Ich lache und fahre hinunter zum Schuleingang. Annie beugt sich zu mir hinüber und küsst mich auf die Wange, bevor sie ihren Rucksack hochhebt. Ich setze zu einer Erklärung an, doch sie drückt mir einen Finger an die Lippen.
    »Du brauchst mir nicht zu sagen, dass ich mir keine Sorgen machen und mit keinem reden soll. Ich weiß, wie so was läuft.«
    Sie lächelt, steigt aus und verschwindet durch den Eingang der Schule, die ich als Kind so liebte – der Schule, die mich zu dem machte, was ich bin, und die meine Tochter bald für immer verlassen wird.

49
    C aitlin kauert nackt auf den Ballen ihrer blutenden Füße und lauscht dem Rasseln von Lindas Kette. Das Geräusch verrät ihr, dass die Kette schwer ist und aus großen Gliedern besteht. Farmer benutzen solche Ketten, um Tiefladeanhänger an Treckern zu befestigen. Manche Männer benutzen sie, wie Caitlin nun weiß, um Kampfhunde zu kräftigen: Die Hunde werden gezwungen, die Ketten in jeder Minute ihres Lebens hinter sich herzuschleppen. Linda schläft wegen des Fiebers sehr unruhig; sie bewegt sich häufig und verschiebt das Halsband, durch das sie mit der Kette verbunden ist.
    Caitlin schläft überhaupt nicht. Sie hat das Gefühl, in einer Albtraumversion des Grafen von Monte Cristo erwacht zu sein, doch sie leidet nicht unter Einsamkeit, sondern muss ohnmächtig den Schreien und dem Stöhnen einer Frau lauschen, die dreißig Stunden Vergewaltigung, Beschimpfung und Demütigung durchlitten hat. Aber Caitlin hat nicht vor, sich damit abzufinden. Sie weiß viel mehr über ihre Situation als bei ihrer Ankunft gestern Abend, und sie hält ihre Lage, im Gegensatz zu Linda, nicht für hoffnungslos.
    Der Verrat durch ihren früheren Pastor scheint Lindas Glauben die Grundlage entzogen zu haben.

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