Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
Caitlin spürt, dass ihr Lebenswille schwach ist – eine Einstellung, die durch ihre Verletzungen und Infektionen zweifellos verschlimmert wird.
Nachdem sie Linda in der Nacht lange und gründlich befragt hat, vermutet Caitlin, dass sie nicht weit von Natchez entfernt sind. Gestern hat Seamus Quinn das Zwingergebäude, das ihr Gefängnis ist, dreimal aufgesucht, um mit Linda seinen Spaß zu haben. Caitlin ist sich sicher, dass er zwischen den Vergewaltigungen nach Natchez zurückfährt.
Noch interessanter ist es für sie, dass Quinn seinem Chef erzählt haben muss, Linda sei bereits tot. Anscheinend sollte er sie in der Nacht umbringen, als Ben Li starb, doch Linda rettete sich durch einen mutigen Sprung aus dem Schiff. Quinn spürte sie wieder auf, indem er in aller Stille unter den vom Pech verfolgten Glücksspielern die Kunde verbreitete, dass demjenigen, der ihm Linda ausliefere, sämtliche Schulden erlassen würden. Sein Manöver machte sich bezahlt, und nun erhält er Linda offenbar nur noch am Leben, weil er die Lieblingsmätresse seines Herrn stets begehrt hat.
Dass Quinn seinen Chef in einem so wichtigen Punkt belogen hat, könnte die Möglichkeit bieten, einen Keil zwischen die beiden Männer zu treiben, aber erst einmal muss Caitlin ihren Hals retten.
Während der Nacht hat sie zwei Stunden lang, wenn auch mit Unterbrechungen, gegen das Blechdach des Zwingers getreten. Hin und wieder legte sie eine Pause ein, bevor sie die Turnübung wiederholen konnte. Ihre Füße waren nach zehn Minuten blutig, und die Pitbulls auf dem Hof gerieten in Raserei, doch kein Mensch ließ sich blicken. Quinn ist offenbar der Meinung, dass die Hunde allein jede Flucht verhindern können.
Nachdem Caitlin einen Teil des Bleches aufgehebelt hat, sieht sie, dass das Zwingergebäude von einem schweren, fast zweieinhalb Meter hohen Maschendraht umschlossen wird. Der Zaun ist an allen Seiten sieben Meter zurückgesetzt und durch einen riesigen Schuppen, nach Art einer Maschinenhalle, vor Luftaufklärung geschützt. Die Metallstreben, die das Dach stützen, sind sechs oder sieben Meter über ihrem Kopf. Wenn sie ein Seil hätte, könnte sie möglicherweise einen der Sparren erreichen, aber sie weiß nicht, ob es im Zwinger ein Seil gibt. Und selbst wenn sie eines fände und sich zu den Streben hinaufhangeln könnte, wäre Linda nicht imstande, ihr zu folgen.
Nach Lindas Angaben ist das Zwingergebäude vierzig Schritt lang und im Grunde nur eine bessere Hundehütte. Caitlin ist in dem einzigen Raum mit vier Wänden untergebracht, sieht man von einem verschlossenen Lagerraum am Ende des Gebäudes ab. Der Rest des Zwingers besteht aus zwei Reihen leerer Hundeboxen, die durch dicken Maschendraht voneinander getrennt sind, mit einem Mittelgang dazwischen. Die erste Box zur Rechten, hinter der Eingangstür, enthält mehrere lebende Katzen, die bei der Abrichtung als Köder benutzt werden sollen. Obwohl Lindas Denkvermögen durch das Fieber beeinträchtigt wird, entspricht ihre Beschreibung dem, woran Caitlin sich erinnert, seit sie verhüllt durch den Hauptgang geführt wurde.
Diese Kenntnisse haben ihr geholfen, das gesamte Dach auszukundschaften und nach einer Schwachstelle zu suchen, von der sie sich in einen anderen Teil des Zwingers hinunterfallen lassen könnte. Stets folgten ihr die Hunde und blickten mit jener zwanghaften Faszination zu ihr auf, die nur von wirklichem Hunger verursacht wird. Die Pitbulls haben schmale Taillen und massige Brustkörbe. Die Muskulatur mancher Tiere sieht im Brust- und Vorderlaufbereich beinahe menschlich aus. Doch nach Caitlins Lektüre im Internet zu schließen, sind sie wahrscheinlich keine echten Kampfhunde. Wenn sie es wären, würden sie nicht frei auf einem Hof herumlaufen, sondern angekettet sein, sodass sie nicht aufeinander losgehen können. Wahrscheinlich sind diese Tiere Wach- oder »Schutzhunde«, die durch Befehle unter Kontrolle gehalten werden können, jedenfalls durch die geeignete Person. Allerdings ist Caitlin verwirrt über das, was sich gestern Abend abspielte, als man sie durch den Hof zum Zwinger brachte. Die Hunde wurden nicht durch einen Befehl fortgeschickt, sondern Quinn forderte einen Mann auf, »einen Köder zu benutzen, wenn nötig«, um die Tiere vom Tor fortzuscheuchen. Also sind die Pitbulls vielleicht nur eine Hundemeute, die für Abrichtungszwecke eingesetzt und ausgehungert wird, um Linda – und nun auch Caitlin – einzuschüchtern und von einem Fluchtversuch
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