Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl

Entfernung scheinen die Ballons auf den Himmel aufgemalt zu sein.
    Im Westen fliegt der Hubschrauber des Sheriffs von Adams County den Damm an der Deer Park Road entlang wie ein Kampfhelikopter, der sich anschickt, feindliche Soldaten mit Feuer einzudecken.
    »Ich glaube, sie haben die Primäraufgabe im Griff«, sagt McDavitt über die Bordsprechanlage. »Sollen wir uns an die Arbeit machen?«
    »Ich weiß immer noch nicht genau, was wir hier tun«, gesteht Carl Sims und blickt sich zu mir um. »Ich will Ihnen ja gern helfen, aber ich wäre dankbar für ein paar Einzelheiten.«
    Ich sehe keinen Grund, McDavitt oder Sims mit unnötigem Wissen zu belasten. »Okay, ich werde es so einfach wie möglich ausdrücken. Gestern Nacht ist ein Freund von mir ermordet worden. Von wem, spielt im Moment keine Rolle. Aber man hat meine Familie bedroht. Derzeit suchen wir nach dem Auto meines Freundes, ein blauer Nissan Sentra, fünf oder sechs Jahre alt. Vielleicht enthält der Wagen Indizien, die auf die Mörder hinweisen. Genügt Ihnen das?«
    »Wo sollen wir suchen?«, fragt McDavitt.
    »Ich vermute, dass mein Freund irgendwo jenseits des Stadtfriedhofs gefangen wurde, auf der Cemetery Road oder einem der Feldwege.«
    Der Major legt den Hubschrauber in die Kurve und steuert auf Weymouth Hall zu, ein Anwesen auf dem Kliff nicht weit vom Jewish Hill. Als wir uns der Dachterrasse nähern, wendet er sich nach Norden und folgt der Cemetery Road in ungefähr hundertdreißig Metern Höhe. Die vor den Häusern und Hütten geparkten Autos sind leicht zu erkennen, was mir Hoffnung macht.
    »Haben Sie ein amtliches Kennzeichen?«, fragt Carl.
    »Nein.«
    »Ich kann es mir besorgen. Ein Anruf beim Einsatzleiter in Athens Point genügt.«
    »Das kann ich nicht riskieren. Die Sache muss unbemerkt bleiben.«
    Nach einem kurzen Blick auf McDavitt sagt Carl: »Na gut. Ein blauer Nissan Sentra.«
    Der Hubschrauber von Athens Point ist nagelneu und viel moderner als der von Adams County. Es ist ein Bell JetRanger mit allerlei Schnickschnack, von dem ich nichts verstehe, aber dafür weiß ich das FLIR – oder Forward Looking Infrared Radar – zu schätzen. Dieses einstige militärische Überwachungssystem funktioniert mittels eines Geräts unter dem Bug des Hubschraubers, das Sensoren enthält, die sowohl Infrarot- als auch sichtbares Licht registrieren können. Die Daten werden von einem Computer verarbeitet und dann auf einem Schirm am Armaturenbrett wiedergegeben. Moderne FLIR -Geräte sind so empfindlich, dass sie sogar den kurzlebigen »Handabdruck« – eigentlich ist es ein Wärmeabdruck – eines Flüchtlings entdecken können, der für einen Sekundenbruchteil ein Auto berührt hat, während er in völliger Finsternis vor der Polizei davonläuft. Das Gerät in Athens Point war von einem Holzmillionär und begeistertem Jäger gespendet worden, der es gelegentlich benutzt, um die Weißwedelhirschpopulation auf seinen vielen tausend Morgen zu beobachten.
    McDavitt scheint ein Auge auf die Erde und das andere auf den FLIR -Schirm gerichtet zu haben. Auf meine Frage hin erklärt er, dass er in Afghanistan Pave-Low-Hubschrauber, einen der fortschrittlichsten Typen der Welt, geflogen und sich daran gewöhnt habe, Instrumente als Hauptschnittstelle mit der Welt zu benutzen. Carl Sims dagegen sucht auf altmodische Art, wie es sich für einen einstigen Scharfschützen gehört. Seine Stirn ist an die gewölbte Scheibe neben ihm gedrückt, und hin und wieder mustert er den Boden durch die Sichtkanzel unter seinen Füßen.
    Unser größtes Problem besteht nicht darin, dass die Cemetery Road durch einen Wald führt, sondern vielmehr darin, dass Dutzende von Sandwegen diesen Wald durchziehen. Die meisten wurden vor langer Zeit von Holzfällern angelegt, und nur wenige sind in einem guten Zustand. Wenn Tim mit dem Wagen auf der Flucht war, könnte er in einen dieser Wege eingebogen sein, um sich im Wald zu verstecken.
    »Wie weit von der Straße entfernt soll ich Ausschau halten?«, fragt McDavitt, der meine Sorge offenbar teilt.
    »Eine halbe Meile. Wenn wir in einer größeren Entfernung suchen, werden wir sowieso nicht viel erkennen können.«
    »Eine halbe Meile. Wird gemacht.«
    Der Pilot geht in Schräglage. Während der Hubschrauber sinkt und schlingert, gerät mein Magen in Aufruhr. Ich halte mich an einen Ratschlag, den ich im Zusammenhang mit Seekrankheit gehört habe, und richte den Blick starr auf die Horizontlinie über dem Fluss. Carl und