Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
weiß, dass ich mit ihr flirte, lacht aber trotzdem.
»Und wenn ich ein Foto bestellen will?«, frage ich.
»Müssen Sie dieses Formular ausfüllen.«
»Und was ist, wenn ich weder das Datum noch den Namen noch den Namen des Fotografen weiß?«
Sie seufzt. »Sie wollen eigentlich gar kein Foto, oder?«
Ich schüttele den Kopf. »Ich suche nach einer Todesanzeige oder Todesnachricht.«
»Wie lange ist das her?«
»Etwa vierzehn Jahre.«
Sie bittet mich zu warten, während sie einen Anruf macht. Dann fragt sie mich, ob ich irgendein offiziell aussehendes Dokument bei mir hätte, einen Sicherheitspass oder zur Not auch eine Visitenkarte. Damit kann ich dienen, und sie schiebt sie in eine Plastikhülle, die sie mir ans Hemd heftet.
»Die Bibliothekarin weiß, dass Sie kommen. Wenn irgendjemand fragt, was Sie machen, sagen Sie, dass Sie einen Artikel für die Gesundheitsseite recherchieren.«
Ich nehme den Aufzug in den vierten Stock und gehe die Flure hinunter. Hin und wieder kann ich durch Schwingtüren einen Blick in einen großen Redaktionsraum werfen. Ich halte den Kopf gesenkt und versuche entschlossen zu wirken. Immer wieder wird mein Bein steif und gleitet nur wie auf einer Schiene vorwärts.
Die Bibliothekarin ist Anfang sechzig mit gefärbtem Haar und einer halben Brille, die an einer Kette um ihren Hals hängt. Ihr Schreibtisch ist von Dutzenden von Kakteen umgeben.
Sie bemerkt meinen Blick. »Wir müssen den Raum so trocken halten, dass hier sonst nichts wächst«, erklärt sie. »Feuchtigkeit würde die Druckerschwärze beschädigen.«
Auf einem langen Tisch liegen Zeitungen verstreut. Ein Mensch schneidet Artikel aus und stapelt sie auf ordentliche Häufchen, ein anderer liest jeden Artikel und umkringelt bestimmte Namen oder Begriffe, mit deren Hilfe sie ein Dritter in Aktenordner sortiert.
»Wir haben gebundene Ausgaben, die 150 Jahre zurückreichen«, sagt die Bibliothekarin. »So lange halten die Ausschnitte nicht. Irgendwann zerbröseln sie von den Rändern.«
»Ich dachte, mittlerweile wäre alles auf Computer«, sage ich.
»Nur die letzten zehn Jahre. Die ganzen gebundenen Ausgaben
einzuscannen, wäre zu teuer. Die werden auf Mikrofilm kopiert.«
Sie schaltet einen Computer ein und fragt mich, was ich suche.
»Ich suche nach einer Todesnachricht, die um 1988 veröffentlicht worden sein müsste. Leonard Albert Edward Morgan …«
»Benannt nach dem alten König.«
»Ich glaube, er war ein Busschaffner. Er hat möglicherweise in der Heyworth Street gewohnt oder gearbeitet.«
»Das ist in Everton«, sagt sie und tippt mit zwei Fingern etwas ein. »Die meisten städtischen Buslinien beginnen oder enden am Pier Head oder in der Paradise Street.«
Das notiere ich in meinem Block, wobei ich mich darauf konzentriere, gleichmäßig große Buchstaben zu schreiben. Es erinnert mich an die Vorschule – auf billigem Papier riesige Buchstaben mit Kreidestücken ausmalen, die mir so groß vorkamen, dass ich sie fast auf die Schultern stützen musste.
Die Bibliothekarin führt mich durch ein Labyrinth von Regalen, die sich vom Holzboden bis zu den Sprinklern an der Decke erheben. Schließlich kommen wir zu einem Holztisch voller Kerben, auf dem ein Mikrofichegerät steht. Sie schaltet es ein, und ein Motor beginnt zu summen. Mit einem weiteren Schalter knipst sie eine Birne an, worauf auf dem Bildschirm ein quadratisches Lichtfeld aufleuchtet.
Sie gibt mir sechs Kartons mit Mikrofilmen der Zeitungsausgaben von Januar bis Juni 1988. Sie fädelt den Film ein, spult im Schnellvorlauf durch die Seiten und weiß beinahe instinktiv, wo sie anhalten muss. Sie zeigt mir die Todesnachrichten, und ich notiere mir die Seitenzahl in der Hoffnung, dass es jeden Tag in etwa die gleiche ist.
Ich fahre mit dem Finger über die alphabetische Liste bis zu dem Buchstaben M. Nachdem ich festgestellt habe, dass keine Morgans erwähnt sind, spule ich zum nächsten Tag vor … und
dem nächsten. Die Schärfeneinstellung ist empfindlich und muss ständig nachjustiert werden. Dann wieder muss ich hin und her schwenken, um alle Spalten auf dem Bildschirm lesen zu können.
Nachdem ich die erste Ladung durchgearbeitet habe, hole ich mir bei der Bibliothekarin weitere sechs Kartons mit Mikrofilmen ab. Die Ausgaben um die Weihnachtszeit sind dicker, sodass ich länger brauche, um sie durchzusehen. Als ich mit dem November 1988 fertig bin, wächst meine Nervosität. Was, wenn ich nichts finde? Ich spüre vom langen
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