Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
vielleicht einen anderen Namen hatte. Deshalb muss ich ja die Fotos sehen. Auf denen würde ich ihn erkennen.«
Plötzlich ist sie sich, was mich betrifft, nicht mehr so sicher. Ihr Argwohn wächst noch, als ich vorschlage, in die Schule zu kommen. Sie möchte erst die Direktorin fragen. Und noch besser wäre es, wenn ich meine Anfrage schriftlich und per Post an sie richten könnte.
»Ich habe keine Zeit. Mein Freund – «
»Es tut mir Leid.«
»Warten Sie! Bitte! Können Sie bloß einen Namen für mich nachschauen? Bobby Moran. Vielleicht hatte er eine Brille. Er müsste so um 1985 eingeschult worden sein.«
Sie zögert. Nach einer längeren Pause schlägt sie schließlich vor, dass ich in zwanzig Minuten noch einmal anrufe.
Ich gehe nach draußen an die frische Luft. Vor dem Eingang einer Gasse steht ein Mann neben einem geschwärzten Karren und ruft immer wieder »Röööööstkastanien«. Bei ihm klingt es klagend wie der Schrei einer Möwe. Er gibt mir eine braune Papiertüte, ich setze mich auf die Stufen und entferne die rußige Schale von den warmen Kastanien.
Eine meiner liebsten Erinnerungen an Liverpool ist das Essen. Strudel mit Konfitüre, Brotpudding, Schwammpudding mit Sirup, Würstchen mit Kartoffelbrei … außerdem mochte ich die seltsame Mischung von Menschen – Katholiken, Protestanten, Muslime, Iren, Afrikaner und Chinesen – gute Malocher,
die extrem stolz sind und das Herz schnoddrig auf der Zunge tragen.
Diesmal ist die Schulsekretärin nicht mehr so vorsichtig. Ihre Neugier ist entfacht. Meine Suche ist zu ihrer geworden.
»Tut mir Leid, aber einen Bobby Moran konnte ich nicht finden. Sind Sie sicher, dass Sie nicht vielleicht Bobby Morgan meinen? Er war 1985 bis 1988 auf unserer Schule. Er hat uns während des dritten Schuljahrs verlassen.«
»Warum das?«
»Ich weiß nicht genau«, erwidert sie unsicher. »Damals war ich noch nicht hier. Vielleicht eine Familientragödie?« Sie könne da jemanden fragen, sagt sie. Eine Lehrerin. Sie notiert den Namen meines Hotels und verspricht, eine Nachricht zu hinterlassen.
Zurück bei den farbig markierten Ordnern gehe ich die Register noch einmal durch. Warum sollte Bobby seinen Nachnamen um einen einzigen Buchstaben verändern? Wollte er mit der Vergangenheit brechen oder sich vor ihr verstecken?
Im dritten Band finde ich einen Eintrag über einen Robert John Morgan. Geboren am 24. September 1980 in der Universitätsklinik Liverpool. Mutter: Bridget Elsie Morgan (geborene Aherne). Vater: Leonard Albert Edward Morgan (Matrose).
Ich kann mir nach wie vor nicht sicher sein, dass es Bobby ist, aber die Chancen stehen gut. Ich fülle ein rosa Formular aus, um eine Kopie seiner vollständigen Geburtsurkunde zu beantragen. Der Beamte hinter der Glasscheibe hat ein aggressives Kinn und geblähte Nüstern. Er schiebt mir das Formular wieder zurück. »Sie haben keinen Grund angegeben.«
»Ich erkunde die Geschichte meiner Familie.«
»Und was ist mit Ihrer Anschrift?«
»Ich hole die Kopie selbst ab.«
Ohne mich anzusehen, stempelt er das Formular mit einem
faustgroßen Stempel ab. »Kommen Sie im neuen Jahr wieder. Wir schließen ab Montag über die Feiertage.«
»Aber so lange kann ich nicht warten.«
Er zuckt die Achseln. »Am Montag haben wir noch bis Mittag geöffnet. Dann könnten Sie es probieren.«
Zehn Minuten später verlasse ich das Gebäude mit einer Quittung in der Tasche. Drei Tage. So lange kann ich nicht warten. Als ich die Straße überquert habe, habe ich einen neuen Plan geschmiedet.
Die Büros des Liverpool Echo sehen aus wie ein verspiegelter Zauberwürfel, und das Foyer ist voller Rentner auf einem Tagesausflug. Jeder von ihnen hat einen Beutel mit Souvenirs und ein Namensschildchen.
Hinter einem dunklen Holztresen sitzt eine junge Empfangssekretärin auf einem hohen Hocker. Sie ist klein, blass und ihre Augen haben die Farbe von Curry. Links neben dem Tresen befindet sich eine Barriere, die den Zugang zu den Fahrstühlen versperrt und sich mit einer Magnetkarte öffnen lässt.
»Mein Name ist Professor Joseph O’Loughlin und ich hatte gehofft, Ihre Bibliothek benutzen zu können.«
»Tut mir Leid, aber die Bibliothek der Zeitung ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich.« Auf dem Tresen steht ein großer Blumenstrauß.
»Die sind aber hübsch«, sage ich.
»Nicht für mich, fürchte ich. Die Moderedakteurin kriegt die ganzen Präsente.«
»Ich bin sicher, Sie kriegen auch mehr als genug.«
Sie
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