Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
dass sein Vater nie in sein Leben zurückkehren konnte.
Ich blättere die Akte durch, bis ich auf das Urteil stoße. Es ist acht Seiten lang, die ich rasch überfliege, bis ich zum Resümee komme.
Der Ehemann und die Ehefrau sind ehrlich besorgt um das Wohlergehen des Kindes. Ich bin überzeugt, dass sie in der Vergangenheit auf ihre Art ihre elterlichen Verpflichtungen nach besten Kräften erfüllt haben. Meines Erachtens ist im Falle des Ehemannes die Fähigkeit, seine Pflichten gegenüber dem Kind angemessen und ordentlich zu erfüllen, jedoch durch die über ihm schwebenden Beschuldigungen negativ beeinflusst worden.
Bei der Urteilsfindung sind auch die Gegenbeweise in Betracht gezogen worden – nämlich die Tatsache, dass der Ehemann die Tat bestreitet. Gleichzeitig ist sich das Gericht des Umstands bewusst, dass das Kind mit beiden Elternteilen leben will. Dieser Wunsch muss offensichtlich mit anderen für Bobbys Wohlbefinden relevanten Faktoren abgewogen werden.
Die Richtlinien und Bestimmungen der Kinder- und Jugendhilfe sind eindeutig. Bobbys Interessen haben Vorrang.
Das Gericht kann einem Elternteil weder das Sorgerecht noch das Umgangsrecht für ein Kind zusprechen, wenn damit das Kind der inakzeptablen Gefahr eines Missbrauchs ausgesetzt wird.
Ich hoffe, dass Bobby nach Erreichen eines angemessenen Grades von Selbstschutz, Reife und Verständnis die Möglichkeit bekommen wird, Zeit mit seinem Vater zu verbringen. Bis zu diesem Zeitpunkt, der nach Ansicht des Gerichts bedauerlicherweise erst in einiger Zukunft absehbar ist, sollte er keinen Umgang mit seinem Vater haben.
Das Urteil trägt einen Gerichtsstempel und ist unterzeichnet vom Familienrichter Alexander McBride, Catherines Großvater.
Mel beobachtet mich von der anderen Seite des Schreibtischs. »Hast du gefunden, wonach du suchst?«
»Eigentlich nicht. Hattest du je mit Richter McBride zu tun?«
»Er ist einer von den Guten.«
»Ich nehme an, du hast das mit seiner Enkelin gehört.«
»Schreckliche Geschichte.«
Sie dreht sich langsam mit ihrem Stuhl um und streckt die Beine aus, bis ihre Schuhe auf der Fußleiste Halt finden, ohne ihren Blick von mir zu wenden.
»Weißt du, ob Catherine McBride eine Akte hatte?«, frage ich beiläufig.
»Komisch, dass du das fragst.«
»Warum?«
»Vor kurzem wollte sie schon mal jemand einsehen. Das sind gleich zwei interessante Anfragen an einem Tag.«
»Wer hat nach der Akte gefragt?«
»Ein Detective von der Mordkommission. Er wollte wissen, ob dein Name darin auftaucht.«
Ihr Blick wird bohrend. Sie ist wütend, dass ich ihr etwas verschwiegen habe. Sozialarbeiter neigen nicht dazu, sich den Menschen schnell anzuvertrauen. Sie lernen, nicht zu vertrauen … nicht wenn man mit missbrauchten Kindern, geschlagenen Frauen, Drogensüchtigen, Alkoholikern und Eltern im Streit um das Sorgerecht zu tun hat. Nichts darf man für bare Münze nehmen, nie einem Verteidiger oder einem verängstigten Elternteil glauben. Nie dem Befragten den Rücken zuwenden oder einem Kind etwas versprechen. Und sich auf gar keinen Fall auf Pädagogen, Richter, Politiker und hohe Beamten verlassen. Mel hatte mir vertraut, und ich hatte sie enttäuscht.
»Der Detective sagt, dass gegen dich ermittelt wird. Er sagt, Catherine hätte eine offizielle Beschwerde wegen sexueller Belästigung gegen dich erhoben. Er hat mich gefragt, ob vorher schon ähnliche Vorwürfe bekannt geworden sind.«
Das ist Mels Terrain. Sie hat nichts gegen Männer, nur gegen die Dinge, die sie tun.
»Dieser sexuelle Übergriff ist eine Fiktion. Ich habe Catherine nicht angerührt.«
Ich kann den Zorn in meiner Stimme nicht unterdrücken. Die andere Wange hinhalten ist etwas für Menschen, die den Blick abwenden wollen. Ich bin es leid, für etwas beschuldigt zu werden, das ich nicht getan habe.
Auf dem Rückweg ins Albion Hotel versuche ich, die Einzelteile zusammenzusetzen. Die Naht an meinem Ohr pocht, aber das hilft mir, meine Gedanken zu sammeln. Es ist, als ob man sich konzentriert, während bei voller Lautstärke der Fernseher läuft.
Bobby war etwa so alt wie Charlie, als er seinen Vater verloren hat, eine Tragödie, die einen schrecklichen Tribut verlangen kann, aber es braucht mehr als einen Menschen, um die Psyche eines Kindes zu formen. Es gibt Großeltern, Onkel, Tanten,
Brüder, Schwestern, Freunde und eine riesige Schar von Nebendarstellern. Wenn ich all diese Menschen besuchen und befragen könnte, würde ich vielleicht
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