Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
eine teure Privatschule schickt. Man verkehrt mit Diplomaten, Gameshow-Moderatoren und Drogenbaronen.
Dies ist auch für uns seit Wochen der erste Abend, den wir nicht zu Hause verbringen, doch anstatt mich entspannt zu fühlen, bin ich gereizt. Ich muss immer wieder an Juliannes Besuch bei Jock denken. Irgendwie weiß sie, dass ich sie belogen habe. Wann wird sie etwas sagen? Seit der Diagnose bin ich bisweilen in düstere Stimmungen versunken und habe mich von den Menschen zurückgezogen. Vielleicht habe ich ein schlechtes Gewissen. Vermutlich ist es eher Bedauern, und dies ist meine Art, meine Umgebung zu desinfizieren.
Ich verliere meinen Körper Stück für Stück. Ein Teil von mir denkt, dass es okay sein wird, dass es mir gut geht, solange ich meinen Verstand habe. Ich kann in dem Raum zwischen meinen Ohren leben. Doch ein anderer Teil sehnt sich bereits nach dem, was ich noch gar nicht verloren habe.
Da stehe ich nun – nicht an einem Kreuzweg, sondern eher in einer Sackgasse. Ich habe eine Frau, die mich mit Stolz erfüllt, und eine Tochter, bei der mir die Tränen in die Augen schießen, wenn ich ihr beim Schlafen zusehe. Ich bin zweiundvierzig Jahre alt und habe gerade erst angefangen zu begreifen, wie ich Intuition mit Gelerntem verbinden und meinen Job anständig machen kann. Das halbe Leben liegt noch vor mir – die beste Hälfte. Leider ist mein Geist willig, aber mein Körper nicht in der Lage – oder er wird es bald nicht mehr sein. Er lässt mich nach und nach im Stich. Das ist die einzige Gewissheit, die mir bleibt.
Die Versteigerung für einen guten Zweck dauert zu lange, wie immer. Der Zeremonienmeister ist ein professioneller Auktionator mit der Stimme eines Schauspielers, die das Geplauder und den Smalltalk durchschneidet. Jede Klasse hat zwei Kunstwerke geschaffen – in der Hauptsache bunte Collagen aus Einzelbildern. Charlies Klasse hat einen Zirkus und eine Strandlandschaft mit bunten Badehäuschen, Sonnenschirmen in Regenbogenfarben und Eisständen gestaltet.
»Das würde in der Küche bestimmt toll aussehen«, sagt Julianne und hakt sich bei mir unter.
»Wie viel werden die Installationsarbeiten kosten?«
Sie ignoriert mich. »Charlie hat den Wal gemalt.«
Als ich genauer hinsehe, erkenne ich den grauen Klumpen am Horizont. Malen ist nicht gerade ihre Stärke, aber ich weiß, dass sie Wale liebt.
Versteigerungen bringen das Beste und das Schlimmste in Menschen zum Vorschein. Und die einzigen Bieter, die noch entschlossener sind als die Eltern eines Einzelkindes, sind vernarrte und wohlhabende Großeltern.
Bei 65 Pfund bringe ich ein Gebot für die Strandszene unter. Als der Hammer schließlich unter höflichem Applaus fällt, hat das Werk 700 Pfund eingebracht. Das erfolgreiche Gebot
erfolgte per Telefon. Man könnte meinen, man wäre bei Sotheby’s.
Wir kommen erst nach Mitternacht nach Hause. Der Babysitter hat vergessen, das Licht im Vorgarten anzumachen. In der Dunkelheit stolpere ich über einen Stapel Kupferrohre, falle die Stufen hinauf und schlage mir das Knie auf.
»D.J. hat gefragt, ob er sie dort liegen lassen könnte«, entschuldigt Julianne sich. »Mach dir wegen der Hose keine Sorgen. Ich weich sie ein.«
»Und was ist mit meinem Knie?«
»Du wirst es überleben.«
Wir sehen beide nach Charlie. Stofftiere umringen ihr Bett wie Wachleute ein Fort. Sie schläft auf der Seite, ihr Daumen dicht an den Lippen.
Als ich mir die Zähne putze, steht Julianne neben mir vor dem Frisiertisch und schminkt sich ab, während sie mich im Spiegel beobachtet.
»Hast du eine Affäre?«
Die Frage kommt so beiläufig daher, dass sie mich unvorbereitet erwischt. Ich versuche so zu tun, als hätte ich sie nicht gehört, doch es ist bereits zu spät. Ich habe mit dem Zähneputzen aufgehört. Die Unterbrechung hat mich verraten.
»Warum?«
Sie wischt sich Mascara von den Wimpern. »Ich habe in letzter Zeit das Gefühl, dass du gar nicht richtig hier bist.«
»Ich war beschäftigt.«
»Aber du willst doch noch hier sein, oder?«
»Natürlich will ich das.«
Sie hat den Blick im Spiegel nicht von mir gewendet. Ich wende mich ab und spüle die Zahnbürste im Waschbecken aus.
»Wir reden gar nicht mehr miteinander«, sagt sie.
Ich weiß, was jetzt kommt, und in die Richtung will ich nicht. Sie wird mir eine Predigt über meine Unfähigkeit halten,
mich mitzuteilen. Sie denkt, weil ich Psychologe bin, sollte ich in der Lage sein, über meine Gefühle zu sprechen und
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