Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
es.«
»Wo?«
Er tippt an seinen Kopf. »Ich habe den Kern angezapft. Den Apfelkern. Den Eisenstern. Wussten Sie, dass die Erdatmosphäre proportional dünner ist als die Schale eines Apfels?«
Er spielt mit Reimen – eine Charakteristik psychotischer Sprache. Simple Kalauer und Wortspiele helfen, wahllose Ideen zu verbinden.
»Manchmal träume ich, dass ich in einer Windmühle eingesperrt bin«, sagt er. »Sie ist voller sich drehender Zahnräder, blitzender Klingen und Hammer, die auf Ambosse schlagen. Es ist die Musik, die in der Hölle gespielt wird.«
»Ist das einer deiner Albträume?«
Er senkt die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Manche von uns wissen, was los ist.«
»Und das wäre?«
Er lehnt sich zurück und starrt mich wütend an. Seine Augen lodern, und dann huscht ein merkwürdiges, angedeutetes Lächeln über sein Gesicht. »Wissen Sie, dass ein bemanntes Raumschiff weniger Zeit bis zum Mond braucht als eine Kutsche, um einmal durch England zu reisen?«
»Nein, das wusste ich nicht.«
Er seufzt triumphierend.
»Was hast du auf der Hammersmith Bridge gemacht?«
»Ich habe mich hingelegt und den Windmühlen gelauscht.«
»Als du ins Krankenhaus eingeliefert worden bist, hast du immer wieder gesagt, dass du das Blut von deinen Händen waschen willst.«
Er erinnert sich, sagt jedoch nichts.
»Wie ist das Blut an deine Hände gekommen?«
»Hass ist ganz normal. Wir reden bloß nicht darüber. Es ist nichts Besonderes, dass man Menschen wehtun will, die einem wehgetan haben …«
Was er sagt, ergibt keinen Sinn mehr.
»Hast du jemandem wehgetan?«
»Man nimmt all diese Tropfen Hass und füllt sie in eine Flasche. Tropf, tropf, tropf… Hass verdampft nicht wie andere Flüssigkeiten. Er ist wie Öl. Und dann eines Tages ist die Flasche voll.«
»Was geschieht dann?«
»Sie muss geleert werden.«
»Bobby, hast du jemandem wehgetan?«
»Wie soll man den Hass sonst loswerden?« Er zupft an den Ärmeln seines Flanellhemds, die mit dunklen Flecken übersät sind.
»Ist das Blut, Bobby?«
»Nein, es ist Öl. Haben Sie mir überhaupt zugehört? Es dreht sich alles ums Öl.« Er steht auf und geht zwei Schritte zur Tür. »Kann ich jetzt nach Hause gehen?«
»Ich denke, du solltest noch eine Weile hier bleiben«, sage ich nüchtern.
Er sieht mich argwöhnisch an. »Warum?«
»Du hast in der vergangenen Nacht irgendeine Art von Zusammenbruch oder Gedächtnisverlust erlitten. Vielleicht hattest du einen Unfall oder bist gestürzt. Ich denke, wir sollten ein paar Tests machen und dich unter Beobachtung halten.«
»In einem Krankenhaus?«
»Ja.«
»In der allgemeinen Abteilung?«
»In der Psychiatrie.«
»Auf keinen Fall, verdammt noch mal«, kommt es wie aus der Pistole geschossen. »Sie versuchen, mich einzusperren.«
»Du wirst dich freiwillig selbst einweisen. Du kannst jederzeit gehen, wenn du willst.«
»Das ist ein Trick! Sie denken, ich bin verrückt!« Er brüllt mich an. Er will hinausstürmen, aber irgendetwas hält ihn zurück. Vielleicht hat er zu viel in mich investiert.
Juristisch kann ich ihn nicht aufhalten. Selbst wenn ich Beweise hätte, hätte ich nicht die Macht, Bobby festzuhalten oder einzuweisen. Psychiater, Ärzte und Gerichte genießen dieses Privileg, aber ein bescheidener Psychologe doch nicht. Bobby steht es frei zu gehen.
»Und Sie werden mich trotzdem weiter empfangen?«
»Ja.«
Er knöpft seinen Mantel zu und nickt. Ich gehe mit ihm den Flur hinunter und wir steigen gemeinsam in den Fahrstuhl. »Hattest du schon mal irgendwann solche Aussetzer?«, frage ich.
»Was meinen Sie mit ›Aussetzer‹?«
»Gedächtnislücken, in denen die Zeit zu verschwinden scheint.«
»Vor ungefähr einem Monat ist es mir schon mal passiert.«
»Weißt du noch, an welchem Tag?«
Er nickt. »Der Hass musste ausgeleert werden.«
Der Haupteingang des Krankenhauses ist mittlerweile geöffnet. Auf der Treppe vor dem Gebäude dreht Bobby sich um und bedankt sich bei mir. Wieder steigt mir der Geruch in die Nase, und jetzt weiß ich auch, was es ist. Chloroform.
17
Chloroform ist eine farblose Flüssigkeit von der halben Dichte von Wasser mit einem Äther-artigen Geruch und einem vierzigmal süßeren Geschmack als Zuckerrohr. Es ist ein wichtiges organisches Lösungsmittel, das vor allem in der Industrie zum Einsatz kommt.
Der schottische Arzt Sir James Simpson war 1847 der Erste, der es als Narkosemittel verwendete. Sechs Jahre später verabreichte
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