Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
gehalten?«
»Er hatte seine Fehler, aber er war ein ehrlicher Richter. Ich habe ihn respektiert.«
Ruiz gibt sich große Mühe, freundlich zu sein, aber höfliche Zurückhaltung ist ihm nicht von Natur aus gegeben.
»Wissen Sie, was ich wirklich schwer erklärlich finde?«, sagt er. »Warum haben Sie so lange gebraucht, bis Sie mir erzählt haben, dass Sie Catherine McBride und ihren Großvater kennen, während Sie mir gleichzeitig einen Haufen Mist über jemanden namens Bobby Moran auftischen? Nein, Verzeihung, das stimmt nicht – Sie sprechen ja nicht über Ihre Patienten, oder? Sie müssen Ihre Kleine-Jungen-Spielchen und Scharaden spielen. Na, Spielen tut man am besten zu zweit …« Er grinst mich an – nur weiße Zähne und dunkle Augen. »Soll ich Ihnen erzählen, was ich in den vergangenen zwei Wochen getan habe? Ich habe diesen Kanal abgesucht. Wir haben einen Bagger hergeschafft und die Schleusen geöffnet. Es war ein beschissener Job. Meterhoch stinkender Schlamm. Wir haben gestohlene Fahrräder, Einkaufswagen, Autokarosserien, alte Reifen, Kondome und mehr als viertausend benutzte Spritzen gefunden. Und wissen Sie, was wir noch gefunden haben?«
Ich schüttele den Kopf.
»Catherine McBrides Handtasche samt Handy. Es hat eine Weile gedauert, bis wir es getrocknet hatten. Dann mussten wir die Telefonunterlagen überprüfen. Daraufhin haben wir entdeckt, dass der letzte Anruf, den sie gemacht hat, zu Ihrer Praxis war. Am 13. November um 18.37 Uhr. Sie hat aus einem Pub hier in der Nähe angerufen. Wer immer sich dort mit ihr verabredet hatte, war nicht gekommen. Ich vermute, sie hat angerufen, um zu fragen, warum.«
»Wie können Sie sich so sicher sein?«
Ruiz lächelt. »Wir haben außerdem ihren Terminkalender gefunden. Er hatte so lange im Wasser gelegen, dass die Seiten aneinander klebten und die Tinte ausgewaschen war. Die Spurensicherung musste ihn sehr sorgfältig trocknen und die Seiten voneinander lösen. Mit einem Elektronenmikroskop haben sie feine Tintenspuren nachgewiesen. Erstaunlich, was man heutzutage alles kann.«
Ruiz hat sich direkt vor mir aufgebaut, seine Augen nur Zentimeter von meinen entfernt. Dies ist sein Agatha-Christie-Moment, sein Monolog im Salon.
»Für den 13. November hatte Catherine einen Termin eingetragen. Sie hat den Namen des Grand Union Hotels notiert. Kennen Sie es?«
Ich nicke.
»Es ist etwa eine Meile weiter den Kanal hinunter ganz in der Nähe Ihres Tennisclubs.« Ruiz macht eine Kopfbewegung in die Richtung. »Unten auf die Seite hatte sie einen Namen geschrieben. Ich glaube, sie wollte diese Person treffen. Wissen Sie, wessen Name es war?«
Ich schüttele den Kopf.
»Möchten Sie eine Vermutung riskieren?«
Ich spüre, wie sich meine Brust zuschnürt. »Meiner.«
Ruiz gönnt sich keinen finalen Schnörkel und keine triumphale Geste. Das ist bloß der Anfang. Ich sehe die Handschellen blitzen, die er aus der Tasche zieht. Mein erster Impuls ist zu lachen, doch dann erreicht die Kälte mein Inneres, und ich möchte mich übergeben.
»Ich verhafte Sie wegen Mordes. Sie haben das Recht zu schweigen, doch es ist meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass alles, was Sie sagen, aufgezeichnet und gegen Sie verwandt werden kann …«
Die Stahlringe schließen sich um meine Handgelenke. Ruiz zwingt mich, die Beine zu spreizen und tastet mich von den Knöcheln aufwärts ab.
»Haben Sie etwas zu sagen?«
Es ist seltsam, was einem in solchen Momenten einfällt. Ich erinnere mich plötzlich an einen Satz, den mein Vater mir vorzuhalten pflegte, wenn ich in der Klemme saß: »Sag nichts, es sei denn, du kannst die Stille übertreffen.«
BUCH ZWEI
»In den Augen der Welt gelten wir häufig als Verbrecher,
nicht nur weil wir Verbrechen begangen haben, sondern weil
wir wissen, welche Verbrechen begangen wurden.«
Hombre de la Máscara Hierro
Der Mann mit der eisernen Maske
1
Ich habe so lange auf dasselbe Rechteck aus Licht gestarrt, dass es, wenn ich die Augen schließe, weiter hinter meinen Pupillen aufleuchtet. Das Fenster ist hoch an der Wand über der Tür. Hin und wieder höre ich Schritte auf dem Flur. Die Observationsklappe wird geöffnet, und Augen sehen mich an. Nach ein paar Sekunden geht die Klappe wieder zu, und ich starre wieder auf das Fenster.
Ich weiß nicht, wie spät es ist. Ich musste Armbanduhr, Gürtel und Schnürsenkel gegen eine graue Decke eintauschen, die sich anfühlt, als wäre sie aus Schmirgelpapier. Das
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