Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
einzige Geräusch, das ich höre, ist der leckende Wasserkasten nebenan.
Seit die letzten Betrunkenen eingeliefert worden sind, ist es still. Das muss nach der Sperrstunde gewesen sein – plus genug Zeit, dass irgendwer in einem Nachtbus einschlafen oder in einen Streit mit einem Taxifahrer geraten konnte, um in Polizeigewahrsam zu landen. Ich höre ihn immer noch gegen die Zellentür treten und brüllen: »Ich hab ihn nicht mal angerührt, Scheiße noch mal.«
Meine Zelle ist sechs mal vier Schritte groß. Es gibt eine Toilette, ein Waschbecken und eine Pritsche. Alle Wände sind mit Graffiti bemalt, zerkratzt, behauen und verschmiert, ungeachtet der tapferen Versuche, sie zu übermalen.
Ich weiß nicht, wohin Ruiz verschwunden ist. Wahrscheinlich liegt er in seinem warmen Bett und träumt davon, die Welt zu einem sichereren Ort zu machen. Die erste Vernehmung hat nur wenige Minuten gedauert. Als ich ihm erklärte, dass ich einen Anwalt wollte, riet er mir: »Dann besorgen Sie sich verdammt noch mal einen.«
Die meisten Anwälte, die ich kenne, machen um diese Nachtzeit keine Hausbesuche. Also habe ich stattdessen Jock angerufen und ihn geweckt. Im Hintergrund hörte ich die Stimme einer Frau, die sich beschwerte.
»Wo bist du?«
»In der Polizeiwache in der Harrow Road.«
»Was machst du denn da?«
»Ich bin verhaftet worden.«
»Wow!« Nur Jock würde es schaffen, angesichts einer solchen Information beeindruckt zu klingen.
»Du musst mir einen Gefallen tun. Ich möchte, dass du Julianne anrufst und sagst, dass es mir gut geht. Sag ihr, dass ich der Polizei bei einer Ermittlung helfe. Sie wird schon wissen, worum es geht.«
»Warum sagst du ihr nicht die Wahrheit?«
»Bitte, Jock, frag nicht. Ich brauche Zeit, um alles in Ruhe zu durchdenken.«
Seitdem bin ich in meiner Zelle auf und ab gelaufen. Ich stehe auf. Ich setze mich. Ich gehe hin und her. Ich hocke mich auf die Toilette. Ich habe vor Nervosität Verstopfung, vielleicht liegt es auch an den Medikamenten. Ruiz glaubt, ich hätte Informationen zurückgehalten oder wäre zumindest sehr sparsam mit der Wahrheit umgegangen. Rückblickend Einsicht zeigen ist eine exakte Wissenschaft. Im Moment scheinen sich die Fehler in meinem Kopf zu teilen und sich mit all den unbeantworteten Fragen um einen Platz zu drängeln.
Die Leute reden von Unterlassungssünden. Was soll das heißen? Wer entscheidet, ob irgendwas eine Sünde ist? Ich weiß, dass ich Worte klaube, aber so wie die Menschen moralisieren und vorschnelle Schlüsse ziehen, könnte man meinen, die Wahrheit wäre real und fest; etwas, das man aufheben und herumreichen, wiegen und messen kann, bevor man sich darauf einigt.
Aber so ist die Wahrheit nicht. Wenn ich diese Geschichte
morgen erzählen würde, wäre sie anders als heute. Ich hätte die Einzelheiten durch meine Abwehrmechanismen gefiltert und meine Handlungen rationalisiert. Wahrheit ist eine semantische Frage, ob uns das gefällt oder nicht.
Anhand der Zeichnung hatte ich Catherine nicht erkannt. Und die Leiche, die ich im Leichenschauhaus gesehen hatte, hatte nicht ausgesehen wie ein echtes menschliches Wesen, sondern wie eine malträtierte Schaufensterpuppe. Es war fünf Jahre her. Ich habe es Ruiz gesagt, sobald ich mir sicher war. Ja, es hätte früher sein können, aber er kannte ja bereits ihren Namen.
Niemand gibt gern zu, einen Fehler gemacht zu haben. Und wir hassen es alle, die große Kluft anzuerkennen, die zwischen dem liegt, was wir tun sollten, und dem, was wir tatsächlich tun. Also ändern wir entweder unser Handeln oder unsere Ansichten. Wir suchen Entschuldigungen oder rücken unser Verhalten in ein schmeichelhafteres Licht. In meiner Branche nennt man das kognitive Dissonanz . Bei mir hat es nicht funktioniert. Meine innere Stimme – nennen Sie es mein Gewissen oder meinen Schutzengel – flüstert ständig: »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht …«
Ruiz hat Recht. Ich habe einen Riesenhaufen Probleme.
Ich liege auf der schmalen Pritsche und spüre, wie die Federn in meinen Rücken drücken.
Den neuen Freund meiner Schwester um halb sieben Uhr morgens zu einer Polizeiwache zu bestellen, ist eine merkwürdige Art, jemandem das Gefühl zu vermitteln, dass er jetzt zur Familie gehört. Normalerweise habe ich es mit Pflichtverteidigern zu tun, die mich behandeln wie ihren neuen besten Freund oder etwas Ekliges, in das sie getreten sind, je nachdem, welche Meinung ich vor Gericht vertrete.
Simon trifft
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