Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
noch dunkel, als ich eine Sporttasche packe und eine Nachricht an die Mikrowelle klebe. Draußen fegt eine Kehrmaschine die Gosse. Weit und breit keine Hamburger-Verpackung zu sehen.
Auf der Fahrt durch die Stadt blicke ich immer wieder durchs Rückfenster. Ich wechsele zwei Mal das Taxi und hebe an zwei verschiedenen Automaten Geld ab, bevor ich den Bus zur Euston Road nehme.
Ich fühle mich, als würde die Wirkung eines Betäubungsmittels nachlassen. In den letzten paar Tagen habe ich Details übersehen und vergessen. Schlimmer noch, ich habe aufgehört, meinem Instinkt zu trauen.
Ich werde Ruiz nichts von Elisa erzählen. Ich möchte nicht, dass sie im Zeugenstand in die Mangel genommen wird. Diese Tortur möchte ich ihr wenn möglich ersparen. Und wenn das
alles vorbei ist – und niemand von ihr erfahren hat –, habe ich vielleicht immer noch eine Karriere, die sich wieder beleben lässt.
Bobby Moran hatte etwas mit Catherine McBrides Tod zu tun, davon bin ich überzeugt. Wenn die Polizei ihn nicht unterm Mikroskop betrachten will, liegt es eben an mir. Die Menschen brauchen normalerweise ein Motiv, um zu töten, aber nicht, um frei zu bleiben. Ich werde nicht zulassen , dass man mich ins Gefängnis steckt. Ich werde mich nicht von meiner Familie trennen lassen.
Am Bahnhof Euston mache ich eine kurze Inventur. Neben Kleidung zum Wechseln habe ich meine Aufzeichnungen über Bobby Moran, Catherine McBrides Lebenslauf und eintausend Pfund bei mir. Ich habe vergessen, ein Foto von Charlie und Julianne mitzunehmen.
Ich bezahle die Fahrkarte in bar. In der verbleibenden Viertelstunde kaufe ich Zahnbürste, Zahnpasta, eine neue Karte für mein Handy und eins dieser Reisehandtücher, die aussehen wie ein Fensterleder.
»Verkaufen Sie auch Regenschirme?«, frage ich hoffnungsvoll. Der Ladenbesitzer sieht mich an, als hätte ich eine Schrotflinte verlangt.
Mit einem Pappbecher Kaffee besteige ich den Zug und finde einen Doppelsitz in Fahrtrichtung. Ich stelle meine Tasche neben mich und decke sie mit einem Mantel zu.
Der leere Bahnsteig gleitet am Fenster vorbei, gefolgt von den nördlichen Vororten Londons. Der Zug neigt sich im Höchsttempo auf seinen beweglichen Achsen, und wir donnern durch winzige Bahnhöfe, in denen offenbar keine Züge mehr halten. Auf Langzeitparkplätzen stehen vereinzelte Fahrzeuge, die im blassen Licht so weit entfernt und verlassen wirken, dass ich fast erwarte, einen Schlauch am Auspuff und eine über dem Steuer zusammengesunkene Leiche zu sehen.
Mein Kopf ist voller Fragen. Catherine hat sich als meine Sekretärin beworben. Sie hat zwei Mal mit Meena telefoniert und dann einen Zug nach London genommen, wo sie einen Tag zu früh eingetroffen ist.
Warum hat sie an jenem Abend meine Praxis angerufen? Wer hat den Anruf entgegengenommen? Hatte sie Zweifel bekommen, mich zu überraschen? Wollte sie absagen? Vielleicht war sie einfach versetzt worden und wollte ein Glas trinken gehen. Vielleicht wollte sie sich dafür entschuldigen, dass sie mir so viele Probleme bereitet hatte.
All das sind Vermutungen. Gleichzeitig passt es in den Rahmen der Details. Darauf lässt sich aufbauen. Man kann alle Teile zu einer Geschichte zusammensetzen bis auf eins – Bobby.
Sein Mantel roch nach Chloroform. Er hatte Maschinenöl an den Hemdsärmeln. In Catherines Obduktionsbericht wurde Maschinenöl erwähnt. »Es dreht sich alles ums Öl«, hat Bobby mir erklärt. Wusste er, dass sie einundzwanzig Stichwunden hatte? Hat er mich zu dem Ort geführt, an dem sie verschwunden ist?
Vielleicht benutzt er mich, um eine Verteidigung auf Unzurechnungsfähigkeit aufzubauen. Indem er »verrückt« spielt, könnte er einer lebenslänglichen Haftstrafe entgehen. Stattdessen wird man ihn in eine geschlossene Anstalt wie Broadmoor schicken, wo er irgendeinen Gefängnispsychiater mit seiner Therapieaufgeschlossenheit beeindrucken kann. In fünf Jahren könnte er wieder draußen sein.
Ich klinge mehr und mehr wie er – ich konstruiere Verschwörungen aus Zufällen. Was immer der Kern der Sache ist, ich darf Bobby nicht unterschätzen. Er hat mit mir gespielt, und ich weiß nicht, warum.
Irgendwo muss ich meine Suche anfangen. Fürs Erste wird Liverpool reichen. Ich nehme Bobby Morans Akte aus der Tasche und beginne zu lesen. Ich klappe ein neues Notizbuch auf und notiere mir Stichpunkte – den Namen einer Grundschule,
die Buslinie seines Vaters, einen Club, den seine Eltern besucht haben.
Das könnten
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