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Adrienne Mesurat

Adrienne Mesurat

Titel: Adrienne Mesurat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julien Green
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zusammenrücken zu wollen, um Wälder zu bilden, aber es gelang ihnen nicht. Ein farbloser Himmel machte die Trostlosigkeit des Schauspiels vollkommen.
    Sie ließ sich zurückfallen und sah nicht mehr hinaus. Nach einer Weile erkannte sie am Schritt des Pferdes, daß der Wagen in eine kleinere Straße bog. Sie neigte sich vor und sah Kinder, die das Räderrollen an die Türen lockte und die dem Wagen mit einem Blick nachschauten, in dem Adrienne Mißtrauen zu erraten glaubte.
    Der Kutscher hielt sein Pferd vor der Kirche an. Nach dem Gepolter der Räder auf den Steinen kam die nun folgende Stille dem jungen Mädchen seltsam und beinahe unangenehm vor. Adrienne stieg aus. Es war Mittagszeit, und die Straßen waren leer. Als sie den Kutscher bezahlte, hörte sie auf einem Hof einen Hahn krähen, und ohne zu wissen warum, schnürte ihr eine plötzliche Traurigkeit das Herz zusammen.
    Nachdem der Wagen verschwunden war, fiel Adrienne ein, daß sie den Kutscher nach einem Restaurant und einem Hotel hätte fragen können, doch jetzt widerstrebte es ihr, einen Laden zu betreten und Leute, die bei Tisch saßen, zu stören, um sich die nötigen Auskünfte zu besorgen. Auf gut Glück bog sie in eine Straße, die ziemlich steil abwärts führte und die Hauptstraße von Montfort zu sein schien. Alle Häuser wirkten so alt und ruhig, daß sie nicht anders konnte, als sie mit ängstlicher Neugier zu betrachten. Sie drehte sich um und sah den Kirchturm, dessen Steine an manchen Stellen die unbestimmbare Farbe von Wasser angenommen hatten und auf den das Moos dunkle, wie Algen aussehende Linien zeichnete. Unter dem regnerischen Himmel, in dieser stillen Stunde, da alles in einer Reglosigkeit erstarrt schien, die niemals enden sollte, hatte Adrienne das undeutliche Gefühl, dieses alte Dorf habe sie erwartet und durch geheime Zaubermacht herbeigelockt.
    Sie setzte ihren Weg fort. Ein Schild an der Kreuzung zweier Straßen warb für ein Hotel, und ein weißer Pfeil wies den Weg: sie brauchte nur geradeaus zu gehen. Bald lagen die letzten Häuser des Dorfes hinter ihr. Nun ging sie auf einer von Bäumen und Buschwerk gesäumten Landstraße.
    Nach einigen Minuten glaubte sie schon, sich im Weg geirrt zu haben, aber dann bestätigte ein zweites Schild, was das erste gesagt hatte, und tatsächlich entdeckte sie an einer Straßenkrümmung ein niedriges, langes Haus von recht ärmlichem Aussehen, das zwischen zwei Fenstern im ersten Stock eine Aufschrift in dicken schwarzen Lettern trug: Hôtel Beauséjour.
    Es hatte zwei Türen. Adrienne klopfte an die eine, erhielt jedoch keine Antwort. Durch ein Fenster im Erdgeschoß sah sie einen ländlichen Speisesaal mit hellrotem Ziegelboden. Sie wartete eine Sekunde, dann ging sie zu der anderen Tür und öffnete sie, ohne zu klopfen. Sie betrat einen düsteren Raum, in dem an der Wand gegenüber der Eingangstür ein langer, schwarzgerahmter Spiegel hing und fahles Licht verbreitete. Die Ellbogen auf den Schanktisch gestützt, trank ein Arbeiter in blauer Latzhose ein Glas Wein und schaute einem Kind zu, das im hinteren Teil der Gaststube an einem grauen Marmortisch saß und zeichnete. Als sie Adrienne sahen, wandten sich die beiden ihr zu.
    »Wirtin!« rief der Arbeiter.
    Am liebsten wäre sie wieder gegangen, doch im selben Augenblick tauchte eine Frau im Türrahmen auf. Mit ihrem grauen Haar und dem fetten weißen Gesicht mochte sie um die fünfzig sein; sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und eine blaue Schürze umgebunden.
    »Wollen Sie ein Zimmer?« fragte sie.
    Und ohne eine Antwort abzuwarten, fügte sie ziemlich unfreundlich hinzu:
    »Ist keins mehr frei.«
    »Ich möchte zu Mittag essen«, sagte Adrienne.
    »Na gut«, antwortete die Wirtin, »kommen Sie mit.«
    Sie führte Adrienne in den Raum, den das junge Mädchen durchs Fenster gesehen hatte.
    »Wollen Sie gleich essen?« fragte die Wirtin.
    »Ja, sofort«, antwortete Adrienne.
    Sie setzte sich an einen kleinen Tisch, den man in die Nähe des Kamins gerückt hatte, und stellte den Koffer zu ihren Füßen, während die Wirtin eine Tischdecke über das Wachstuch breitete. Es war kalt im Speisesaal, doch Adrienne war zu müde, um sich zu beschweren oder fortzugehen.
    »Wenn Sie wirklich ein Zimmer wollen«, sagte die Wirtin, während sie einen Löffel und eine Gabel aus Zinn vor sie hinlegte, »eines habe ich noch. Sie können es sich ansehen, bevor die Suppe kommt.«
    »Gern«, sagte Adrienne.
    Sie stand auf, nahm ihren Koffer

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