Advocatus Diaboli
Erden warten zu
lassen; das Unerhörte war, dass niemand, weder der Papst selbst noch sein Gefolge, sich im Geringsten über diese Majestätsbeleidigungen empörte.
Kein Heiliger Vater könnte ohne die Unterstützung des unvergänglichen Kanzlers in Rom regieren; das war nun einmal der Stand der Dinge, und alle hatten das eingesehen. Auch Nikolaus IV.
Er übte sich in Geduld.
Artemidore de Broca hatte hinter seinem Schreibtisch Platz genommen. Fünf ernste und schweigende Gestalten hatten in einer Reihe in Sesseln vor ihm Platz genommen.
Außen saß Fauvel de Bazan, zu dessen Rechten Arthuis de Beaune, zu dessen Rechten Henrik Rasmussen, zu dessen Rechten der junge Rainerio und zu dessen Rechten der alte Althoras.
Die vier alten Männer Broca, Beaune, Rasmussen und Althoras bildeten das Quartett, das seit dreißig Jahren über die Geschicke des geheimen und mächtigen Konvents von Meggido bestimmte. Trotz der Verbindungen zwischen ihnen und der Bedeutung ihrer jeweiligen Ämter ahnte niemand, nicht einmal innerhalb der Organisation, dass diese so ungleichen Eminenzen Hand in Hand arbeiten könnten: Kardinal Rasmussen, der große Advocatus Diaboli, galt als der erbittertste Gegner von Artemidore de Broca in Rom, während er in Wahrheit, ohne Wissen selbst seiner Schwester Karen, mit ihm die Intrigen des Konvents dirigierte. Althoras, der blinde Anführer der berüchtigten Räuberbande von Toulouse, warb seit vielen Jahren insgeheim Hunderte von Söldnern an, jene schwarz gekleideten Männer, die die schmutzigen Arbeiten des Konvents erledigten, ohne dass irgendjemand aus seiner nahen Umgebung, nicht einmal sein Nachfolger Isarn, etwas von seiner Allianz mit einer geheimen Versuchsstätte der Kirche wusste. Arthuis de Beaune, der große Oranisator der Versuche des Konvents, ein vielseitiger Gelehrter, der als der neue Plinius der Ältere
galt, hatte seinem Jahrhundert den Rücken gekehrt, um an dem unglaublichen, von Broca initiierten Abenteuer teilzuhaben, und niemand wusste, was aus ihm geworden war. Artemidore de Broca selbst war schon mancher Missetat bezichtigt worden, ohne dass er je für schuldig befunden worden wäre.
Es war das erste Mal seit elf Jahren, dass diese vier Männer im gleichen Raum zusammenkamen.
Denn nun war die entscheidende Stunde für den Konvent gekommen.
Artemidore erteilte Fauvel de Bazan das Wort.
Dieser begann mit einem Pergament in der Hand zu sprechen: »Dank der Kunde, die wir den wertvollen Quellen von Meister Althoras in Okzitanien verdanken, und dank der unermüdlichen Wachsamkeit von Benedetto Gui wurden alle Schwachstellen in Zusammenhang mit Perrots Entführung beseitigt.«
Er las vor: »Die Verräterin Ana im Dorf Cantimpré wurde erdrosselt und ihr Körper in einen Sturzbach geworfen. In Narbonne haben wir Bruder Jacopone Tagliaferro sowie die zwei Schwestern im Archiv hingerichtet und alle Dokumente vernichtet, die mit den Kindesentführungen in Zusammenhang standen. In Aude-sur-Pont wurde die Hexe Jeanne Quimpoix gefoltert, bevor man ihr das Herz durch den Rücken aus dem Leibe riss. In Pozzo ermordeten wir Bruder Hauser und befragten seine Geliebte, Schwester Constanza, bis sie der Tod ereilte. Und dann konnten wir endlich unseren furchtbarsten Gegner in Rom identifizieren und ausschalten: Kardinal Moccha! Alle Informationen, die er gegen den Konvent zusammengetragen hat, befinden sich nun in unserem Besitz.«
Artemidore de Broca lächelte.
»Kommen wir nun zur zweiten Phase unserer Operation. Wo stehen wir?«
Sein Blick wanderte zu Rainerio und Rasmussen. Der junge
Gehilfe des Kardinals ergriff das Wort. Er trug ein langes Gewand aus kostbarem Stoff und eine Silberkette.
»Monsignore, trotz zahlreicher Verwicklungen ist alles so geschehen, wie Ihr es befohlen habt: Die Untertanen des Kaisers und der Kaiser selbst sind dank seinem Schwiegersohn Wenzel II. in die Falle gegangen. Sie hielten mein falsches Schaubild, das die Verbindungen des Konvents von Meggido enthüllt, für wahr und unanfechtbar. Diese perfekte Verquickung von Wahrheit und Lüge fällt nun auf all unsere Feinde zurück, die darin zitiert werden. Da meine Enthüllungen durch die Gegenwart von Monsignore Rasmussen untermauert wurden, sind uns die Kaisertreuen überdies auf den Leim gegangen, sodass wir nun im Besitz der Liste all ihrer Spione sind, die sie in den Lateran eingeschleust haben. Außerdem verfügen wir über die Namen der Prälaten, die sich der Sache des Kaisers verschrieben
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