Advocatus Diaboli
oben auf den Mauern angekommen war, ließ er den Abt, der um sein Leben fürchtete, nicht mehr aus den Augen.
Die Mönche und die Kisten wurden in das Kellergewölbe der großen Klosterbibliothek gebracht.
Dort ließ Isarn die Holzkisten öffnen.
Der Klosterbruder war verblüfft: Anstelle der dicken Werke und Bücher, die er in Antiochia hatte einladen lassen, fanden sie Fässer voller Bitumen und Salpeter vor, die wie Zunder brannten. Es waren Dutzende - genug, um das Kloster in Schutt und Asche zu legen!
»Und jetzt«, herrschte Isarn ihn an, »hilf uns herauszufinden, wo die Kinder eingesperrt sind, wenn du überleben willst!«
XXI
S echsundneunzig Stunden nach dem Beginn seines Leidenswegs hatten die Schinder Benedetto Gui von seinem Folterbett befreit; sie hielten diese Zeitdauer für ausreichend, um seinen Geist abzutöten. Alle praktischen Versuche an dem Opfer bewiesen das: Gui hatte die Sehkraft eines Auges verloren, er konnte weder sprechen noch gehen und hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen. Sein Gesicht wurde von Krämpfen und nervösen Zuckungen heimgesucht, und er hatte sogar vergessen, wie er hieß. Er schien lediglich noch im Stande, sich auf das Essen zu stürzen.
Nach der Folter hatte man ihn in eine kleine Zelle in den Verliesen von Matteoli Flo gebracht. Dort schlief er mehrere Tage hintereinander.
Drei Wochen nach seiner Marterung hatte sich sein Zustand nicht gebessert; zu diesem Zeitpunkt kam man ihn abholen. Gui blieb stumm, sein Blick war verstört, er reagierte kaum auf die Worte und Geräusche, die er hörte. Zwei Wachen packten ihn, als sei er nichts weiter als ein Gegenstand oder ein totes Tier, und schleppten ihn in einen Gang.
Benedetto sollte vor ein niederes kirchliches Gerichtstribunal gestellt werden. Seine wenigen Gedanken bildeten nichts als ein diffuses Magma, das ohne Inhalt um sich selbst kreiste.
Und dennoch hatte sein Gehirn im Unterschied zu allen anderen Folteropfern, die die gleiche Behandlung erlitten hatten wie er, nicht endgültig aufgehört zu funktionieren. Weil es geübter war als das der großen Mehrheit der Menschen, geistig agiler und kraftvoller als der Durchschnitt seiner Artgenossen, hielt seine nervöse Erregung an, mitgerissen von ihrem eigenen Trägheitsmoment, jedoch jeglichen Zusammenhangs beraubt.
Die Wachposten setzten Gui auf einer Bank im Vorraum ab und warteten auf die Ankunft des Karrens, der sie zum Tribunal befördern sollte. Während sie warteten, trat eine Frau ein; sie trug Tücher voller Blutflecken und Fleischfetzen bei sich, mit denen die Folterwerkzeuge von Matteoli Flo gereinigt worden waren; dann öffnete sie eine Falltür, durch die sie sie verschwinden ließ.
Aus dieser stieg der erste vertraute Eindruck an Benedettos Nase, die erste scharfe Erinnerung seit unzähligen Tagen.
Ein Geruch.
Ein Geruch von Wasser.
Ein Geruch, der verworren einen Teil seines Gedächtnisses erwachen ließ.
Für einen Augenblick erstarrte er. Seine Kerkermeister bemerkten nichts, und noch weniger sahen sie, wie sein gesundes Auge funkelte und den Raum in alle Richtungen absuchte.
Für sie war Gui so harmlos wie ein Kind, das gerade Laufen gelernt hat, und wenn der Gefangene Anstalten zum Aufstehen machte, dann warteten sie nur darauf, dass er wie ein Schwachsinniger zusammenbrach, um in höhnisches Gelächter auszubrechen.
Benedetto rollte in der Tat über den Boden, allerdings ohne zu stürzen; er kroch, verrenkte sich mit hampelnden Gliedmaßen und näherte sich dann der Falltür.
Dort verschwand er mit einem schnellen Sprung in den schrecklichen Gang, der senkrecht nach unten fiel.
Die Wachen hatten nicht einmal Zeit, aufzuspringen, da war
der Körper von Benedetto Gui bereits achtzehn Fuß weiter unten in die stinkenden Wasser des Tibers ausgespien worden.
Sie stürzten aus dem Gebäude von Matteoli Flo und versuchten, den Körper auf der Wasseroberfläche zu erspähen und ihm zu folgen, um ihn an Land zu ziehen, doch dieser war untergegangen und verschwunden …
»Jetzt ist es um diesen Irren geschehen. Er ist ertrunken.«
XXII
I m Kloster Albertus Magnus stellte Abt Profuturus aberwitzige, revolutionäre Theorien auf, inspiriert von dem erfolgreichen Experiment am Leichnam von Pater Aba.
Die Nacht war über der Festung hereingebrochen.
Zwei Mönche hielten in seinem Arbeitszimmer mit dem großen Glasfenster seine Gedankenergüsse schriftlich fest; seit fast drei Wochen fühlte er sich wie von einer himmlischen Mission
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