Advocatus Diaboli
unseren Orden auf beispiellose Weise die Sünde. Sein Anblick hat bereits an die zwanzig Ketzer dazu gebracht, sich zu bekehren! Er muss so schnell wie möglich nach Montauban zurückbefördert werden!«
»Ihr habt recht, meine Schwester. Zweifellos. Und nun lasst uns allein.«
»Mein Prior hat mir befohlen, ihn nie aus den Augen zu lassen.«
Até schüttelte den Kopf und sagte: »Entweder Ihr zieht Euch zurück, meine Schwester, oder ich lasse Euch an den Haaren hinauszerren wie die letzte Dirne.«
Sie hatte jede Silbe ihrer Drohung mit Nachdruck betont.
Die Nonne bekreuzigte sich und verließ, von Wachen begleitet, empört den Raum.
Até wandte sich zu Perrot.
»Wie viel Zeit brauchst du?«
Der Junge blickte sie an. Er begriff, was sie von ihm erwartete.
Ohne ein Wort setzte er sich auf den Strohstuhl. Er begann mit den Füßen hin und her zu schaukeln und sah zu, wie sie von dem Holzgestell wieder zurückfederten. Er achtete auf nichts und niemanden mehr, wie ein Kind, das so in sein Spiel vertieft ist, dass es die Erwachsenen in seiner Nähe vollkommen vergisst.
Besorgt musterte Até den Sterbenden. Sie wusste nicht, was sie tun, worauf sie warten sollte. Sie hoffte nur mit aller Kraft, dass etwas geschehen würde. Draußen beklagte sich die Klosterfrau
noch immer bei den Wachen, die jedoch ungerührt in stoischem Schweigen verharrten.
Einige Minuten verstrichen, die ihr wie Stunden vorkamen. Perrot ließ seine Schuhe nicht aus den Augen, und der Todkranke stöhnte.
Er schluckte. Galle vermischt mit Blut rann über seine ausgetrockneten Lippen.
Endlose Augenblicke lang nahm Até nichts als das Spiel des Kindes, den Atem des Kranken und das Knistern der Fackeln wahr. Die Nonne wurde im Gang festgehalten und hatte ihre Jammertiraden eingestellt.
Eine Beule in der Nähe des Adamsapfels sprang auf, und Eiter quoll hervor. Fast im gleichen Augenblick platzten auch andere Taschen voller Körperflüssigkeiten. Darunter auch die riesige Ausbuchtung am Hals.
Die Ergüsse waren dick und gelblich und grauenhaft anzusehen.
Bald wurde der Geruch unerträglich. Entsetzt wich Até zurück. Sie traute ihren Augen nicht: Die gesamte Fleischmasse, die durch die Krankheit wie gelähmt gewesen war, geriet plötzlich in Bewegung.
Aus einer aufgeplatzten Flechte an der linken Schulter rann plötzlich Wasser.
Reines Wasser.
Die Flüssigkeit spülte die Infektion aus und schwemmte die Reste abgestorbener Haut mit sich davon. Ein anderes Geschwür tat es ihr gleich.
Überall schwollen die Geschwüre an und rissen alsdann auf, und Eiter und Blut flossen ab und lösten sich in diesem ausnahmslos klaren Wasser auf.
Sowie die Tropfen den Boden oder die Glut berührten, verschwanden sie, ohne dass die Geschwülste stoffliche Reste hinterließen.
Der Körper wurde überschwemmt, als würde ein Regen aus Weihwasser auf ihn niedergehen. Nur dass dieser Regen in den Poren der Haut seinen Ursprung hatte.
Fassungslos sah Até, wie sich an manchen Stellen Parzellen gesunder Haut bildeten.
Sie betrachtete Perrot. Seine Haltung hatte sich nicht verändert. Er nahm nicht wahr, was sich wenige Schritte von ihm entfernt zutrug; sie glaubte nur zu bemerken, dass er erschauerte.
Die schwarzen Flecken auf dem Arm des Todgeweihten aus dem Hospital von Montauban verblassten. Seine Lippen gewannen einen Anflug von Farbe zurück. Er schnaubte, seine Lebenskräfte kehrten zurück. Er hob den Nacken, öffnete die Augen, versuchte zu begreifen, wo er sich befand, verlor die Besinnung und brach zusammen.
Abgesehen von den Haaren, den Nägeln und seinem Unterleib war von seiner Krankheit fast nichts mehr zu sehen. Er war von seinen Krämpfen befreit, seine Stirn hatte sich geglättet. Até erkannte, dass er eingeschlafen war.
Sie hörte die Wachen, die über das Geschehene ebenso schockiert waren wie sie, hinter ihrem Rücken murmeln. Die Nonne protestierte noch heftiger, weil sie sie daran hinderten, näher zu treten.
»Mein Gott …«, hauchte Até.
Perrot hob den Kopf.
»Ja?«
II
I n Rom stand der alte Artemidore de Broca hinter seinem Marmorschreibtisch in seinem Kabinett in der Kanzlei des Laterans. Eine erstickende Hitze herrschte, denn im Kamin war ein Feuer entzündet worden, um Dokumente zu vernichten. Artemidore verlangte, dass alle brisanten Pergamentrollen der päpstlichen Kurie vor seinen Augen zerstört wurden, denn er traute niemandem mehr. In der Feuerstelle glommen noch geheime Briefe und Entwürfe für Dekrete des
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