Advocatus Diaboli
Aba ist nicht einfach ein schlichter Priester auf der Suche nach einem verschwundenen Schäflein, er ist ein Vater, der seinen Sohn retten will! Wenn es nötig ist, wird er die Beschlüsse der göttlichen Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen. Ich weiß, dass nichts ihn aufhalten wird. Perrot wird mir zurückgegeben werden!«
Wieder alleine im Pfarrhaus setzte Augustodunensis sein Schreiben an den Bischof von Cahors fort und fügte die Enthüllungen Esprit-Madeleines hinzu.
Er schloss seinen Brief mit einer verzweifelten Frage: Was tun?
ZWEITER TEIL
I
E ine Hand entfernte den Leinensack, der über den Kopf des Kindes gestülpt war.
Perrot fand sich in einem reich geschmückten Zimmer wieder; die behauenen Natursteine, eine gerundete Dachschräge sowie ein halb geöffnetes Steinkreuzfenster, das auf den Wehrgang einer Festungsmauer hinausging, bewiesen, dass er sich im obersten Stockwerk eines Burgturms befand. In der Mitte des Raums thronte ein massives Holzbett, das von einem blauen Samtvorhang umgeben war. Der Junge betrachtete die Wandteppiche, die gleichermaßen als Wandschmuck wie zur Eindämmung der Zugluft dienten.
Neben ihm stand eine Frau. Sie hatte ihre schwarze Kleidung abgelegt und gegen ein graues Gewand und eine Spitzhaube mit zwei Hörnern getauscht, von der weiße Fransen herabhingen. Er erkannte ihre Augen, ihre blasse Gesichtsfarbe und ihre anmutige Schlankheit wieder, vor allem jedoch ihre langen roten Haare, die in einem breiten, schweren Zopf auf ihre Schultern fielen.
»Ich bin Até de Brayac«, sagte sie zu ihm. »Fürchte dich nicht, bei mir droht dir keine Gefahr.«
Seit seinem Aufbruch aus Cantimpré hatte er viele Stunden in einem Sack, auf der Kruppe eines Pferdes liegend, zugebracht.
Die Frau hatte ihn bei jeder Rast zu sich geholt, doch es war das erste Mal, dass sie das Wort an ihn richtete. Der Junge war immer noch starr vor Entsetzen. Die Bilder seines Freundes Maurin, der im Pfarrhaus aufgespießt worden war, seine gewaltsame Entführung und der wahnwitzige Ritt, der darauf folgte, ließen ihn nicht los …
Das achtjährige Kind war bleich, und seine Augen waren von Tränen und Erschöpfung gerötet.
Ein Bischof und ein Erzbischof im Zimmer beobachteten ihn. Sie waren mit pelzgefütterten Gewändern in Purpurrot und Weiß bekleidet, die bis auf den Boden reichten, und hielten sich von ihm fern, als fürchteten sie seine Nähe. Auf Perrot wirkten sie kalt und düster wie Raben, die auf einem Kreuz hockten.
»Wie habt Ihr ihn genannt?«, erkundigte sich der Erzbischof, der an seinem weißen Pallium über der Schulter zu erkennen war.
»Sein Name ist Perrot«, antwortete Até.
Der Bischof verzog das Gesicht. »Das trifft sich nicht besonders gut.«
Die junge Frau zuckte die Schultern. »Was spielt das für eine Rolle?«
Sie wandte sich zu dem Jungen und zeigte ihm ein Silbertablett, das auf einem Tisch neben dem Bett stand.
»Du musst Hunger haben?«, fragte sie ihn. »Dort findest du etwas, damit du wieder zu Kräften kommst.«
Der Junge gehorchte stumm und ging langsam zu dem Tisch. Er trug die Holzpantinen aus Cantimpré an den Füßen, die auf dem Parkett klapperten. Auf einem Schemel erblickte er Atés nachlässig hingeworfene schwarze Kleider sowie ihr Schwert, das gleiche wie jenes, mit dem sein Gefährte Maurin getötet worden war.
Er spürte die auf ihn gerichteten Blicke der drei Erwachsenen in seinem Rücken. Das Silbertablett war mit Speisen und Leckereien
beladen. Niemals hätte der Kleine aus der Provinz Quercy sich vorstellen können, dass es eine solche Vielfalt von Gewürzbroten und eingemachten Früchten geben könnte. Mit zitternden Händen ergriff er eine kandierte Birne.
»Er sieht ziemlich verängstigt aus«, bemerkte der Erzbischof.
»Weiß er, weshalb er hier ist?«, fragte der Bischof. »Ahnt er, was mit ihm geschieht? Liest er in der Zukunft? Hört er Stimmen, die ihm etwas verraten?«
»Was stellt Ihr Euch vor?«, hielt die Frau ihm entgegen. »Die Kinder sind nicht alle mit den gleichen Fähigkeiten begabt. Perrot ist nicht wie der, an den Ihr denkt!«
»Seid Ihr sicher, dass Ihr Euch dieses Mal nicht geirrt habt?«, murrte der Erzbischof.
»Falls dem so wäre, dann würden wir es in Kürze wissen.«
»Die Zeit drängt.«
»Das weiß ich!«
Até hatte in schneidendem Ton geantwortet. Die zwei Kirchenfürsten widersprachen nicht. Diese junge Frau war die Tochter des Kanzlers Artemidore de Broca, was ihr unausgesprochen eine
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