Advocatus Diaboli
Karrens ein Stück weit. Er sah, wie die hohen Flammen die Häuser verschlangen und zu den Kronen der Bäume hochzüngelten. Mitten in dem Chaos erblickte der Gefangene das angsterfüllte Gesicht eines Dorfbewohners, der einen Hieb auf den Schädel bekommen hatte und blutüberströmt war. Dächer stürzten ein und sandten Funkensäulen zum Himmel, Bauern kämpften mit Mistgabeln, Spießen und Stöcken gegen die Räuber.
Gegürtet in ihre schwarze Uniform, erschien Até unter Perrots Plane. Ihre rechte Schulter war verletzt, Blut troff aus einer Platzwunde und befleckte das Leder ihres Ärmels. Sie hielt ein junges Mädchen am Kragen gepackt und stieß es ins Innere des Karrens. Die Kleine war starr vor Entsetzen. Até band sie an eine Kette und hieb sodann mit dem flachen Schwert auf die Seitenwand des Karrens - der Befehl zum Aufbruch.
Der Wagen setzte sich in Bewegung und ließ die Kämpfe hinter sich.
Einige Minuten später hielt er mitten auf dem Land an und wartete, bis die schwarz gekleideten Männer mit den Dorfbewohnern fertig waren.
Perrot betrachtete das Mädchen. Sie musste etwa fünfzehn Jahre alt sein. Sie weinte herzzerreißend. Doch als ihr Blick dem des Jungen begegnete, schien ihr Kummer zu verfliegen. Sie näherte sich und kauerte sich an ihn.
Die Reiter kehrten zurück.
Die Abdeckung öffnete sich.
Até, die nun die Kapuze abgenommen hatte, musterte das junge Mädchen, das bei dem kleinen, achtjährigen Jungen Schutz gesucht hatte.
Ihr Blick wanderte von einem zum anderen, während sie immer nur ein einziges Wort wiederholte: »Gut! Gut! Gut!«
Dann rief sie: »Und jetzt fahren wir nach Rom!«
V
B enedetto Gui sagte sich, dass keine drei Tage vergehen würden, bis er von den Häschern des Laterans verhaftet wurde. Wenn das Geheimnis von Rainerios Verschwinden mit dieser Heiligen Kongregation in Zusammenhang stand, die Heilige erschuf und vernichtete, wenn der Junge, wie Chênedollé in seinem letzten Text hatte anklingen lassen, im Dienste des verstorbenen Kardinal Rasmussen gestanden hatte, dann sah Benedetto das Ende seiner Nachforschungen bereits vor sich: Sobald er den Interessen der Mächtigen zu nahe trat, würde er von ihnen ins Visier genommen werden, noch bevor er überhaupt genügend Fragen stellen konnte, um zum Kern der Affäre vorzudringen.
»Drei Tage«, wiederholte er.
Das hinderte ihn nicht daran, seinen Laden an der Via dei Giudei zu verlassen; er war entschlossen, das Schicksal dieses Rainerio in die Hand zu nehmen und seiner Schwester eine Erklärung zu liefern. Die Neugier und der Sinn für die Gerechtigkeit gewannen die Oberhand über seine Bedenken.
Seine erste Idee war, zum Palazzo von Kardinal Henrik Rasmussen zurückzukehren.
Vom Aufmarsch der Würdenträger, die sich auf der Via Nomentana versammelt hatten, um über den sterblichen Überresten des
Prälaten seiner zu gedenken, war nichts mehr zu sehen, doch der Volksauflauf hatte sich nicht aufgelöst: Ein Teil der Menge wurde nun Zuschauer eines neuen Spektakels. Der schwarze Behang des Gebäudes, der die Fassade bedeckte, wurde abgenommen, zahllose Gestalten gingen geschäftig ein und aus, vor allem aber war eine große Anzahl von Wagen in den Hof des Palazzos gefahren, und an jedem wichtigen Punkt des Gebäudes hatten Wachen Aufstellung genommen; kurzum, man sah das Gegenteil eines Trauerhauses.
Benedetto erriet alsbald die Funktion dieser zahlreichen Karren: Bedienstete aus dem Palazzo luden Möbel, Kleiderständer, Vorhänge, aber auch Truhen voll Geschirr und Zierrat darauf auf.
Der Umzug war so umfangreich, dass manche Fuhrwerke nicht in den Hof des Palazzos einfahren konnten und auf dem Platz halten mussten, wo sie von Bediensteten bis zur Decke vollgestopft wurden.
Das gemeine Volk, in dessen Mitte Benedetto unauffällig stand, pfiff bewundernd oder ließ einen Hagel von Schimpfwörtern los, je nachdem, ob unter den Decken ein großes Möbelstück aus kostbarem Holz hervorlugte oder ein prächtiges Kruzifix. Der Überfluss mochte dem Herrn zustehen, aber dem Herrn allein. Der Reichtum der Prälaten empörte die einfachen Römer.
Als Benedetto Gui sich umhörte, erfuhr er, dass Rasmussen nur eine einzige Familienangehörige hatte, nämlich seine Schwester Karen Rasmussen. Sowie ihr Bruder verstorben war, hatte sie verkündet, dass er in ihre Heimat, die Grafschaft Flandern, überführt werde, wo er seine letzte Ruhe finden sollte. Sie hatte sich heftig gegen die Kardinäle gewehrt, die den
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