Aelita
riß die Augen weit auf. Aber er küßte sie sehr fest auf den Mund. Icha preßte mit aller Macht den Korb und das Messer an sich.
»So ist das, Ichoschka!« Sie sprang auf und lief davon.
Gussew blieb sitzen, zupfte an seinem Schnurrbart. Er lächelte. Die Sonne war untergegangen. Die Sterne traten hervor. Ein kleines, langes, zottiges Tier schlich bis an die Treppenstufen und blickte Gussew mit phosphoreszierenden Augen an. Er machte eine Bewegung – das Tierchen zischte und verschwand wie ein Schatten.
»Ja, all diesen Unsinn sollte man bleibenlassen«, sagte Gussew, zog seinen Gürtel zurecht und trat ins Haus. Im Korridor lief ihm sogleich Ichoschka über den Weg. Er winkte sie mit dem Finger heran und sie gingen zusammen durch den Korridor. Vor Anstrengung das Gesicht verziehend, begann Gussew jetzt marsianisch zu sprechen: »Also, Ichoschka, das merk dir: Wenn irgendwas ist, heirate ich dich. Du mußt mir gehorchen.« Icha wendete sich ab und preßte ihr Gesicht an die Wand. Er zog sie von der Wand weg und hakte sie fest unter. »Damit kannst du noch warten – ich hab dich noch nicht geheiratet. Hör zu, ich, ein Sohn des Himmels, bin nicht wegen irgendwelcher Lappalien hierhergekommen. Ich habe große Sachen vor mit eurem Planeten. Aber ich bin ein Neuling hier und kenne die hiesige Ordnung nicht. Du mußt mir helfen. Nur, paß auf, daß du nicht lügst. Sage mir also folgendes: Wer ist unser Hausherr?«
»Unser Hausherr«, antwortete Icha, die nur mit Mühe der merkwürdigen Rede Gussews zu folgen vermochte, »unser Hausherr ist der Herrscher über alle Länder des Tuma.«
»Nun schlag einer lang hin!« Gussew blieb stehen. »Lügst du auch nicht?« Er kratzte sich hinter dem Ohr. »Wie heißt er denn offiziell? Ist er ein König oder was sonst? Was für einen Posten hat er?«
»Er heißt Tuskub und ist Aëlitas Vater. Er ist das Haupt des Höchsten Rates.«
»Soso. Ich verstehe.« Gussew ging eine Weile schweigend weiter.
»Also, Ichoschka, in jenem Zimmer habe ich so einen Mattspiegel gesehen. Es wäre ganz interessant, da mal hineinzuschauen. Zeig mir, wie er eingeschaltet wird.«
Sie betraten ein schmales, halbdunkles Zimmer, in dem lauter niedrige Sessel standen. An der Wand glänzte weiß ein matter Spiegel. Gussew warf sich in einen der vorderen Sessel. Icha fragte: »Was wünscht der Sohn des Himmels zu sehen?«
»Zeige mir die Stadt.«
»Jetzt ist es Nacht, überall ist die Arbeit beendet, die Fabriken und Geschäfte sind geschlossen, die Plätze sind leer. Möchten Sie vielleicht Schauspiele sehen?«
»Zeig mir Schauspiele.«
Icha schob den Stecker in eine bezifferte Schalttafel und begab sich, das Ende einer langen Schnur in der Hand haltend, zu dem Sessel, in dem der Sohn des Himmels mit weit von sich gestreckten Beinen saß.
»Ein Volksfest«, sagte Icha und zog an der Schnur.
Lauter Lärm ertönte – das brummende tausendstimmige Sprechen einer Volksmenge. Der Spiegel erhellte sich. Es öffnete sich der Blick auf eine endlose Flucht gewölbter Glasdächer. Breite Lichtgarben brachen sich an riesigen Plakaten, an Aufschriften, an vielfarbigen aufsteigenden Rauchschwaden. Unten wimmelte es von Köpfen, Köpfen, Köpfen. Hier und dort sah man, gleich Fledermäusen, geflügelte Figuren auf- und abwärts fliegen. Die Glasgewölbe, die sich kreuzenden Lichtstrahlen, die Strudel der Volksmenge dehnten sich weit in den Hintergrund aus, verloren sich in staubigem, rauchigem Dunst. »Was machen sie?« schrie Gussew – er mußte seine Stimme anstrengen, so groß war der Lärm.
»Sie atmen den kostbaren Rauch ein. Sehen Sie die Rauchschwaden? Da werden die Blätter der Chawra verbrannt. Das gibt den kostbaren Rauch. Man nennt ihn den Rauch der Unsterblichkeit. Wer ihn einatmet, sieht ungewöhnliche Dinge: ihm scheint, daß er niemals sterben wird. Und was für Wunder man sehen und begreifen kann! Viele hören die Töne der Ulla. Niemand hat das Recht, bei sich zu Hause mit Chawrablättern zu räuchern; dafür wird man mit dem Tode bestraft. Nur der Höchste Rat gestattet das Räuchern, und nur zwölfmal im Jahr werden in diesem Hause die Blätter der Chawra angezündet.«
»Und die da, was machen sie?«
»Sie drehen Zahlenräder. Sie erraten Zahlen. Heute darf jeder eine Zahl zum Raten aufgeben, und wer sie errät, wird für immer von der Arbeit befreit. Der Höchste Rat schenkt ihm ein wunderschönes Haus, ein Feld, zehn Chaschi und ein geflügeltes Boot. Das ist ein ungeheures Glück: richtig
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