Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
ergatterte. Heute gibt es solche Betriebe nicht mehr. Ich wollte zu einer Zeitung in Berlin, aber Bewerbungen zu schicken war sinnlos. Damals strebte jeder Zweite mit einem Magister-Abschluss zu einem Medium in die kultige Mauerstadt, die Konkurrenz war groß.
Ich hatte eine Bluse und einen Rock mit »körperbetontem« Schnitt angezogen, das Wort »eng« hier zu verwenden, wäre nur leicht übertrieben. Dazu trug ich Feinstrümpfe und Schuhe mit Absatz, nicht zu hoch natürlich. So nötig hatte ich es auch wieder nicht. Die langen Haare waren frisch gewaschen, das Jackett schlicht, aber elegant. Nicht unwichtig war auch die Mappe mit meinen Probeartikeln, die ich mir unter den Arm klemmte.
So ausgestattet ging ich schlankweg und unangemeldet in das Redaktionsgebäude der Zeitung. Es handelte sich um ein kleines Unternehmen, deshalb hatten sie keinen Pförtner. Ich klopfte an die Tür zur Chefredaktion und stieß auf eine freundliche Sekretärin, die mich nicht gleich rausschmiss. Noch heute: Danke, Frau R.! Schon stand auch der stellvertretende Chef in der Tür. Einige Wochen später konnte ich mit dem Praktikum beginnen. Es hat Vorteile, jung zu sein. Doch darauf kann man nicht ewig bauen. Später wird es komplizierter, wie ich neulich auf dem Betriebsfest in meinem Verlag mal wieder feststellen musste.
»Hallo, schön dich zu sehen! Wie geht’s dir, altes Haus?« Ein Typ im Alter von Mitte 50 mit Sektglas in der Hand ist zu mir getreten. Es ist Volker!
Wie flirte ich mit 50?
Ich befinde mich auf der Abschiedsparty von K. im Dachgeschoss des Verlagshauses, wo ich seit mehr als 15 Jahren als Gesellschaftsredakteurin tätig bin. Die Abschiedspartys sind hier eine häufige Vergnügung, denn die Fluktuation ist nicht unerheblich.
Auf die Feten kommen nicht nur Redaktionsmitarbeiter, sondern auch Ex-Kollegen. Viele Ex-Kollegen. So wie Volker, den ich seit sechs Jahren nicht mehr gesehen habe. Volker hat sich einen Fusselbart wachsen lassen. Steht ihm nicht, ändert aber nichts an der Tatsache, dass Volker einer der beiden Männer war, die ich jemals sexy fand bei dieser Zeitung.
Und damit stehe ich vor der Frage: Wie flirte ich mit über 50 – noch dazu auf einer Betriebsfeier? Zum intergeschlechtlichen Umgang mit 50 plus gibt es keine wirklichen Ratgeber. Und wenn Sie jetzt glauben, man nehme einfach die allgemeinen Flirttipps für Frauen, dann reden Sie sich die Sache schön. Denn in meinem Alter habe ich ein Problem, das ich noch nicht hatte, als mir der Bleistiftrock gut stand. Heute kann ich schwer einschätzen, in welche Rolle mich mein Gegenüber steckt: Bin ich für ihn nur die sachkundige Kollegin? Oder steckt er mich gar in die Muttischublade? Oder findet er mich doch als Frau eigentlich ganz anziehend? Wobei ich das Wort »noch« hier bewusst vermeide, denn mit »noch« fängt das Unbehagen an für die Lady in den späten Jahren.
Am liebsten würde ich meinem Ex-Kollegen jetzt sagen: »Wirklich, Volker, ich finde dich supernett, und es ist ein Glücksfall, dich mal wieder zu treffen. Aber bevor sich mein Hirn jetzt die witzigsten Sprüche ausdenkt, würde ich gerne wissen, ob sich das überhaupt lohnt. Was machen sechs Jahre aus bei dir? Meine tieferen Falten von Nase zu Mund? Meine etwas breiteren Backen? Der dickere Bauch? Bin ich damit unter das Radar deiner Wahrnehmung von Sexyness abgesackt? Das ist nicht kalt und berechnend gedacht, aber wie genau hast du das mit dem ›alten Haus‹ gemeint?«
»Altes Haus« ist eine Bezeichnung, bei der mein Gesichtsausdruck eigentlich erstarren müsste, so als machte ich gerade Anstalten, mich 300 000 Kilometer zum Mond zu beamen und diesen Smalltalk hier umgehend zu verlassen. »Altes Haus« kommt gleich hinter »Urgestein«, ein Titel, den ich auch nie als Kompliment auffassen konnte, den aber offenbar manche Zeitgenossen als Gipfel feinfühliger Metaphorik ansehen, wenn sie einer Kollegin im Alter von über 50 begegnen.
Aber Volker hat nicht »Urgestein« gesagt, sondern nur »altes Haus«. Vielleicht ist er bloß unsicher. So wie ich.
Es ist ja nicht so, dass ich nun so gar nicht mehr »als Frau« wahrgenommen werde. Auch im Verlag nicht. Ein durchaus zugewandter Kollege schob im vergangenen Sommer mit einem überaus fürsorglichen Gesichtsausdruck den Standventilator in meine Richtung. Es war sehr stickig, und wir vier Kollegen und Kolleginnen mussten uns einen Ventilator teilen, weil wir nicht mehr dieser Geräte haben auf unserer Etage. Draußen
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