Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
flexibel will ich auch mal sein.
Mein Wanderweg mit Winnie ist tatsächlich falsch, es kommt auch kein Schießplatz, wie im Führer angekündigt. »Wir laufen einfach weiter«, schlägt Winnie vor. »Ist doch eine interessante Route hier.« Am Wegesrand stehen große Spiegel. Sie gehören zu einer Kunstinstallation zur Erinnerung an Deserteure, die hier im Zweiten Weltkrieg hingerichtet wurden. »Männer mussten in den Kampf ziehen«, sagt Winnie nachdenklich. »Die hatten keine Wahl.«
Ich schaue Winnie verstohlen von der Seite an. Er humpelt kaum merklich. Sein Knie bereitet ihm offenbar immer noch Probleme. Nach einer Kreuzbandoperation hatte sich das Gelenk infiziert. Ein Held ist Winnie nicht mit seiner Wampe, der Stirnglatze und den Hängelidern über den kleinen Augen. Da hilft auch die eckige Gleitsichtbrille wenig. Fände ich ihn überhaupt attraktiv, wenn er nicht nur mein Kumpel wäre? Käme drauf an. Winfried könnte jedenfalls schon etwas charmanter zu mir sein. So wie früher. Oder so wie die Männer auf meiner Wanderreise im vergangenen Sommer.
Ich hatte eine Reise in die Schweiz gebucht. Allein, denn meine Familie wandert nicht gern. Am Zielort im Eiger-Gebiet stellte sich heraus, dass die Wandergruppe aus sehrgut trainierten Ruheständlern bestand. Ich war zehn Jahre jünger als die Rentner, die heute nicht mehr diese Sonnenhütchen mit schmalem Rand tragen, sondern Basecaps.
Die unterschätzte Rolle des männlichen Knies
Die Basecap-Truppe entpuppte sich als Balsam für meine Seele. Ich lauschte ergriffen den Erzählungen der alten Herren von ihren früheren Touren auf die Wildspitze oder zum Basislager des Mount Everest. Ich scheute mich aber auch nicht nachzufragen zu den Themen Bandscheibenvorfall, Kniearthrose und dem Sinn und Unsinn von Stützbandagen. Im Austausch für meine Aufmerksamkeit behandelten mich die Männer überaus ritterlich. Wie schön war es, dass ein Mann einen Wanderstock für mich aufhob oder mir bei Regen die Apfelschorle von der Terrasse in den Gastraum hinterherbrachte.
Wie nett war es, von einem der Männer zu hören, ich sei wohl der »jüngste Hüpfer« in der Gruppe. Und als ich auf dem Jungfraujoch wegen der dünnen Höhenluft schwächelte und schnurstracks umkehren wollte, standen die Herren um mich herum und redeten mir gut zu. Es fühlte sich an wie in alten Zeiten, als ich noch unter 40 war.
Dabei hatte ich nur Suses Tipps aus ihrem Blog beachtet. Suse beschäftigte sich in diesem ungewohnt versöhnlichen Beitrag mit den Flirtversuchen reifer Frauen mit betagteren Herren: »Wenn du auf einer Berghütte mit einem älteren Mann ein Gespräch anfangen willst, frage ihn erst nach seinen Gipfeltouren und dann nach seinen Knien«, hatte Suse unter dem Titel »Die Männerversteherin« geschrieben. Was bei Männern in späten Jahren sofortige Gesprächsbereitschaft erzeuge, wären Erkundigungen über funktionale Beschwerden der leichteren Art. »Erkundigt euch nach Knieproblemen, besser noch nach Sportverletzungen.« In der Frage schwinge die Anerkennung für die Sportlichkeit des Gegenübers mit.
Dass es sexy ist, wenn Frauen sich um die Verletzungen der Männer kümmern, kennt man aus diversen Filmen, wenn sich die Protagonisten nach dramatischen Situationen näherkommen, und die Frau dem verwundeten Mann das Blut von der Stirn tupft. So was funktioniert auch bei älteren Männern, da hat Suse Recht.
Ich könnte auch Winnie auf den Stand seiner Knieprobleme ansprechen. Aber ich habe heute keine Lust. Die Gefahr, zur Mutti zu werden, ist zu groß.
Wir wandern weiter unter Buchen und Eichen und kommen an einem verrotteten Unterstand vorbei. Vor der Wende haben hier die britischen Alliierten aufwändige Manöver durchgeführt. »Schon seit dem 19 .Jahrhundert nutzte die deutsche Armee das Gelände«, erkläre ich. Davon ist heute nichts mehr zu spüren. Einige Hundebesitzerinnen führen im ehemaligen Sperrgebiet ihre vierbeinigen Lieblinge aus. Unsere Wanderroute stimmt immer noch nicht mit der Beschreibung im Führer überein, wir stoßen weder auf Ruheplätze noch auf breite Lichtungen. Nach einiger Zeit stellen wir auch fest, warum: Wir sind die ganze Tour falsch herum gelaufen. Rückwärts, gewissermaßen, weil wir zu Beginn an der Treppe falsch abgebogen sind. »Wir müssen den Wanderführer gegen den Strich lesen«, sagt Winnie, »dann finden wir zurück.« Es dauert eine Weile, bis wir die Orientierung wiederhaben.
»Ist jedenfalls eine spannende Ecke
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