Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
und die Ehe besteht noch, obwohl sie den Kurs nach der siebten Doppelstunde abbrechen mussten. Werner Lodenbaum hatte sich einen Hexenschuss zugezogen, das hatte aber nichts mit der Tanzerei zu tun. Meine alten Studienfreunde Silke und Pit: Tango bis zur zweiten Aufbaustufe. Sogar eine Tanzreise nach Korfu haben sie unternommen. Da tanzt man dann zwei Wochen jeden Tag stundenlang, im Hintergrund das Meer. Romantischer geht es nicht. Silke begann eine Affäre mit dem Tangolehrer, die allerdings nur kurz dauerte. Die Ehe überstand die Sache mit dem Tangolehrer, und inzwischen gehen die beiden wandern in Tirol. Ist auch sehr schön.
Dann unsere Nachbarn Edith und Reiner: Grundkurs und zwei Aufbaukurse beim »Tanzbär«. Ich war beeindruckt von Reiners Fähigkeiten, den Rumba in erstaunlichen Varianten aufs Parkett zu legen. Die Ehe ist trotzdem im Eimer. Die beiden gingen sich außerhalb des Tanzsaales unsäglich auf die Nerven, da konnten sie Rumba und Salsa üben, so viel sie wollten.
Wer sich nahe kommt, tritt sich auch leicht auf die Füße
Die Idee mit dem »Tanzbär« hatte Suse aufgebracht. Christoph und ich haben schon im Voraus die zehn Doppelstunden »Standard-Latein« bezahlt.
So eine Paketbuchung ist heikel. Das erinnert mich an die Verträge in Fitnesscentern. Da bezahlen die Leute ein halbes Jahr im Voraus, um eine Motivation zu haben und Druck auf sich selbst auszuüben, regelmäßig zum Training zu gehen, schließlich hat man den Vertrag. Das führt aber dazu, dass der Besuch des Fitnessstudios mit einem Gefühl von Pflicht verbunden wird.
Pflichtveranstaltung! So weit will ich es mit dem Tanzkurs nicht kommen lassen. Aber »ein regelmäßiger Termin in der Woche müsste doch einzurichten sein«, habe ich zu Christoph gesagt. »Das ist ein fixer Tag, an dem wir zusammen was machen. Was mit Bewegung und Musik.« Christoph treibt keinen Sport neben seinem 55 -Stunden-Job als IT -Berater. So ähnlich sind die Dialoge zwischen Suse und Jürgen und Theresa und Günther wahrscheinlich auch gelaufen. Und von einem Dutzend weiteren Paaren ebenso. Deswegen stehen wir hier, im Ballsaal des »Tanzbär«.
Die Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen haben sich Mühe gegeben mit dem Anziehen und Schminken. Das hat sich nicht geändert seit der Tanzstunde von früher. Die Herren wirken rasiert, keiner hat Turnschuhe an, fast alle tragen Sakkos.
Eduard wiederholt den Tangogrundschritt. Christoph und ich befolgen brav die Anweisungen, er umfasst meinen Rücken und platziert sorgfältig seine Füße. Das fand ich schon immer gut an ihm, so eine gewisse Seriosität im Detail, das kommt nicht nur von seinem Job. Sich gegenseitig ernst nehmen, das ist eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Ehe. Wie Paarforscher immer betonen.
Beim Tango schmiegt man sich ziemlich eng aneinander. Schließlich handelt es sich um einen erotischen Tanz. O là là, aus den Bars der Rotlichtmilieus in Argentinien. Trainer Eduard muss auch das mit dem Rotlichtmilieu immer mal wieder erwähnen. Wegen der körperlichen Nähe beim Tango gibt es eine Besonderheit: Der Herr und die Dame müssen ihre Füße seitlich versetzt gegeneinander platzieren. Sonst latscht man sich unweigerlich auf die Zehen.
»Es ist wie im Leben: Gerade wenn man sich sehr nahe kommt, muss man aufpassen, sich nicht auf die Füße zu treten«, erklärt Eduard. Tanzlehrer, Surftrainer und Bergführer peppen ihren Job heutzutage mit psychologischem Mehrwert auf. Das verlangt wohl der Kunde.
Dadam, dadam, dadadadam– wir schieben zur Musik, in der das Bandoneon nicht fehlen darf, über das Parkett. Das Wichtige dabei ist der Wiegeschritt zwischendrin, wo sich beide zusammen nach vorn und zurück bewegen.
So richtig lockerlassen kann ich nicht. Ich muss in Gedanken immer mitzählen. Lang, lang, kurz, kurz, lang, kurz, kurz, lang, lang, lang, äh, wie nochmal? Das Erotische beim Tango sind die Wechsel zwischen langsamen und schnellen Schritten. Das hätten noch nicht mal Marlon Brando und Maria Schneider im »Letzten Tango in Paris« richtig schön hingekriegt, deswegen wirken sie im Film laut Regie betrunken und durften beim Tanzen ruhig dilettieren. Ein billiger Kniff.
Wir sind nicht betrunken. Der Paartanz erfordert Konzentration. Das hier ist nicht das Gleiche wie zuhause abhängen und einen 20 . 15 - Uhr-Spielfilm gucken. Wo sich dann die anderen auf dem Bildschirm mit ihren Liebesproblemen im Grenzland zwischen Gewohnheit, Romantik und Tragödie abmühen
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