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Äon

Äon

Titel: Äon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Tyheimer sich das letzte Mal unterhalten. Tyheimer lebte vielleicht noch und lag irgendwo unter dem Eis auf Lauer.
    Falls er nicht bereits zur allgemeinen Verwüstung beigetragen hatte, hielt er vielleicht seine Sprengköpfe bereit… und wartete… auf den nächsten Schlagabtausch. Den letzten.
    »Ich hasse dich«, sagte Lanier, der die Augen wieder geschlossen hatte, laut. Er wußte nicht einmal, wen er damit meinte. Drei Psychiater versammelten sich in seinem Kopf und diskutierten; der erste, ein typischer Freudianer, belegte jeden Anflug eines Gedankens mit den schlimmsten, schmutzigsten Interpretationen. Ja… und Ihre Mutter… und was sagten Sie dann? Meinten sich selbst damit, nicht wahr?
    Ein zweiter saß still da und ließ ihn in seiner Verwirrung zappeln.
    Und der dritte…
    Der dritte nickte und riet zur Arbeitstherapie. Der dritte ähnelte seinem Vater.
    Das wiederum interessierte den ersten.
    Er wälzte sich auf die andre Seite und schlug die Augen wieder auf. Kein Schlaf, keine Ruhe. Wie lange würde es dauern, bis die Leute auf dem Stein einen Knacks bekämen? Wie viele und wie schlimm? Wer würde sich mit dem Problem auseinandersetzen – er selber oder Hoffman?
    Aber die Entscheidung war schon gefallen. Er hatte mit Hoffman die große Besichtigungstour unternommen und war dabei in der Bibliothek der dritten Kammer Mirski begegnet, der vor einem Chromkügelchen saß. Der russische Generalleutnant hatte sich in der Begleitung von drei Leibwächtern befunden, obwohl die Bibliothek ansonsten leer war. Er hatte erschöpft gewirkt und sie nicht beachtet.
    Nun hatte er Hoffman in einiger Entfernung von den Russen einen Platz zugewiesen und mit dem Gerät vertraut gemacht. Er hatte ihr die Tastatur überlassen, von der sie gern Gebrauch machte.
    Er setzte sich auf und drückte aufs Sprechgerät. Ann Blakely saß wieder an ihrem Schreibtisch und bediente die Vermittlung. »Ich kann nicht schlafen«, sagte er. »Was hat Heineman für eine Schicht?«
    »Er ist wach, wenn Sie das wissen wollen«, sagte sie.
    »Gut. Und schätzungsweise in der siebten Kammer.«
    »Nein, laut Dienstplan ist er im Landebereich am südlichen Bohrloch…«
    »Rufen Sie ihn bitte an!«
    »Mach’ ich.«
    »Sagen Sie ihm, ich möchte morgen früh um Punkt acht aufbrechen!«
    »Jawohl, Sir.«
    Die Mannschaft fürs V/STOL stand schon fest: er selbst, Heineman, Carrolson (wohl die einzige an sich Unabkömmliche für Hoffman) und Karen Farley. Der Auftrag war schlicht und einfach: ein Maximum von einer Million Kilometern in den Korridor vorzudringen, der diese Länge schätzungsweise aufwies, unterwegs mehrmals anzuhalten und zum Boden abzusteigen. Wer wußte schon, wie der Korridor so weit nördlich beschaffen wäre? Sie würden dann mit oder ohne Patricia oder Spuren ihres Verbleibs zurückkehren.
    Es bestanden viele Unklarheiten, was Lanier an sich nur recht sein konnte. Er hatte sich so lange mit blankem Horror beschäftigt, daß ein schlichtes Abenteuer direkt eine himmlische Wohltat war.
    Er zog sich an und verstaute seine persönlichen Dinge in einer schwarzen Tasche. Zahnbürste, Rasierer, Unterwäsche zum Wechseln, Tafel mit einer Memoblockpackung.
    Zahnbürste.
    Lanier brach in Lachen aus. Das Lachen klang gezwungen, wurde aber anfallsweise so heftig, daß er nicht mehr dagegen ankam. Er krümmte und wand sich auf der Pritsche und verzog das Gesicht, bis es wehtat. Endlich hörte er auf, schnappte nach Luft und dachte an die winzige Naßzelle im Flugzeug mit der winzigen Dusche. Er stellte sich auf dem Topf vor und schüttelte sich wieder vor Lachen. Es dauerte Minuten, bis er sich unter Kontrolle hatte. Er setzte sich auf, atmete tief durch und rieb sich den halb ausgerenkten Kiefer. »O Gott«, seufzte er und steckte die Zahnbürste in die kleine Tasche.
     
    Der tote sowjetische Soldat schwebte zwanzig Minuten vor dem Gerüst im Bohrloch der siebten Kammer. Wie er so weit vorgedrungen war, darüber ließen sich nur Vermutungen anstellen. Offenbar war er nicht verwundet; vielleicht hatte er sich vor dem Absprung gefürchtet und war an der Achse geblieben, bis sein Luftvorrat zur Neige ging. Langsam trieb er nun wieder in Richtung sechste Kammer durchs Bohrloch. Freilich war jetzt keine Zeit, ihn einzufangen und hinunterzubringen. Er warf einen finsteren Schatten auf die Abschiedsszene. Scheinbar verfolgte er den Vorgang interessiert mit aufgerissenen Augen, die hinter dem Helmvisier im bleichen Gesicht zu erkennen

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