Äon
auf der gesamten nördlichen Halbkugel, Seuchen und Hungersnöte, Revolutionen. Wenn die Bibliotheken die Wirklichkeit darstellen, dann werden insgesamt drei bis vier Milliarden Menschen sterben.«
»Aber es ist nicht der Weltuntergang.«
»Nein. Falls es überhaupt geschieht.«
»Gehst du davon aus?«
Lanier schwieg lange. Hoffman, die ohne zu blinzeln vor sich hin blickte, wartete. »Nein. Nicht mehr. Wenn vielleicht der Stein nicht gekommen wäre…«
Hoffman stellte ihren Drink weg und fuhr mit dem Finger am Glasrand entlang. »Tja. Ich werde versuchen, hochzukommen. Frag mich nicht wie. Wenn ich es schaffe, sehen wir uns auf dem Stein wieder. Falls nicht… Es war angenehm, mit dir zusammenzuarbeiten. Würde mir auch weiterhin Spaß machen.« Sie griff nach ihm, zog ihn an sich und küßte ihn auf die Stirn. »Danke.«
Nachdem sie eine halbe Stunde später drei Gläser hintereinander gekippt hatten, begleitete sie ihn zur Tür. Dabei zog sie ein gefaltetes Blatt Papier hervor und reichte es ihm.
»Nimm das und mach damit, was du willst! Du kannst es Gerhardt geben, wenn du willst, oder es vernichten. Ist jetzt wohl weiter nicht mehr wichtig.«
»Was ist’s denn?« fragte er.
»Der Name des russischen Spitzels auf dem Stein.«
Laniers Hand mit dem Papier verkrampfte sich unwillkürlich, aber er entfaltete den Zettel nicht.
»Der Präsident handelt schneller, als ich dachte. Im Laufe des morgigen Tages werdet ihr den Befehl erhalten, die Bibliotheken dicht zu machen. Er will die Sowjets unbedingt davon überzeugen, daß wir kooperativ sind.«
»Das ist verrückt«, meinte Lanier.
»Nicht unbedingt. So ist’s in der Politik. Er hat große Probleme. Hab’ ich das gesagt? Ja. Jetzt versteh’ ich den Präsidenten sogar. Bin wohl betrunken. Spielt das überhaupt noch ‘ne Rolle?«
»Eine verdammt große vielleicht.«
»Dann mach damit, was du willst. Es wird ein paar Wochen dauern, bis sie’s rauskriegen und deine Entlassung durchsetzen können.« Sie lächelte. »Sobald Vasquez was erreicht, läßt du’s mich irgendwie wissen, okay? Noch haben wir nicht alle Trümpfe ausgespielt.
Einige Senatoren und Mitglieder der Joint Chiefs stehn noch auf meiner Seite.«
»Mach’ ich«, sagte er und steckte den Zettel ein.
Sie hielt ihm die Tür auf. »Tschüß, Garry.«
Der Agent im Flur betrachtete ihn mit ausdruckslosem Gesicht.
Will ich’s wirklich wissen?
Er mußte es wissen.
Er mußte den Stein bereit machen für das, was kommen sollte.
15. Kapitel
Heineman lenkte das V/STOL allein, indem er den Raketenantrieb des Flugzeugs einsetzte und den Röhrengleiter vom Bohrloch der ersten Kammer an der Achse entlang bewegte. Vor gerade erst vierzig Minuten hatte er Röhrengleiter und V/STOL im Bohrloch des Südpols gekoppelt. Der »Boden«, der Heineman ringsum umgab, verursachte zunächst ein eigenartiges Schwindelgefühl; wie sollte er sich da orientieren? Aber er paßte sich rasch an.
Mit Hilfe von Leitfunksignalen, die in jeder Kammer installiert waren und von der Steuerelektronik an Bord des V/STOL ausgewertet wurden, konnte er seine Position bis auf wenige Zentimeter genau angeben. Mit Umsicht und Leidenschaft bugsierte er sein Gefährt von Kammer zu Kammer, wobei er sich provisorischer Antriebsmodule am Röhrengleiter und Senkrechtstarter bediente, die vom umgerüsteten Leitsystem des Flugzeugs koordiniert wurden.
Die Annäherung ans Bohrloch war jedesmal ein Nervenkitzel. In der Mitte der massiven grauen Kappe das winzige Loch – größer als ein Fußballfeld und an sich keine Herausforderung, aber aus der Ferne kaum sichtbar…
Er überflog gerade die düstere Landschaft der fünften Kammer mit ihren Wolken, Bergen und Schluchten. Beim Passieren des Bohrlochs von der fünften zur sechsten Kammer gab er einer Technikermannschaft an der Singularität der siebten Kammer knappe Anweisungen durch. »Weg damit! Komm’ in ein paar Minuten durch.« Sie bestätigten und machten sich daran, den oberen Teil des Arbeitsgerüsts abzubauen.
Es war Heinemans Absicht, die Nadel auf Anhieb – langsam, aber sicher – einzufädeln.
Die gepaarten Gefährte waren monströs aus aerodynamischer Sicht und in allen Aspekten plump, aber leicht zu fliegen. Das Beinahe-Vakuum der Steinachse setzte wenig Widerstand entgegen.
Selbst als er sich auf die letzte Phase der Geburt konzentrierte, konnte Heineman nicht aufhören, an den Flug der Maschine zu denken.
Der Wiedereintritt war der kritische Teil.
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