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Äon

Äon

Titel: Äon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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sie in diesen knappen Ausspruch hineingepackt hatte.
    »Kannst echt nicht froh sein, Mann. Hältst uns hier fest und weißt, was los ist.«
    »Ich halte niemanden hier.«
    »Du hast nie mit mir geredet, mit keinem von uns, soweit ich gesehen habe. Du sagst zwar was, aber redest nicht mit uns.«
    Plötzlich verpuffte der Ärger und ließ ein leeres, schales Gefühl des Alleinseins zurück. »Verantwortung bringt Privilegien mit sich«, sagte er leise.
    »Glaube ich nicht.« Sie verdrehte die Augen. Sie wollte ihn reizen, herausfordern. »Was bist du für ein Mensch? Du wirkst steinern. Eiskalt. Bist du das, oder ist das nur Ausdruck deiner Privilegien?«
    Lanier erhob drohend den Zeigefinger, wackelte damit vor ihrer Nase und grinste. »Du machst deinen Job«, meinte er, »und ich den meinen.«
    »Trotzdem redest du nicht.«
    »Was willst du überhaupt?« sagte er bitter, trat einen Schritt näher, zog die Schultern vor und warf den Kopf zurück. Es war eine auf Patricia unheimlich verkrampft wirkende Pose. Der jähe Gefühlsausdruck erschreckte sie.
    »Ich will, daß mir jemand sagt, was ich empfinden soll«, erklärte sie.
    »Kann ich nicht.« Die Schultern ruckten zurück, und der Hals lockerte sich. »Wenn man anfängt, darüber nachzudenken…«
    »Aber die Arbeit, die Arbeit«, erwiderte Patricia mit einem spöttischen Unterton. »Herrgott, ich schufte, Garry. Ich arbeite in einem fort.« Tränen traten ihr in die Augen, und mit Bestürzung stellte sie fest, daß auch er Tränen in den Augen hatte. Er hob die Hände, aber hielt vor dem Gesicht inne. Eine Träne fiel auf die Wange und kullerte weiter zu seinem Mundwinkel.
    »Okay«, sagte er. Er wollte gehen, brachte es aber nicht über sich. »Wir sind nur Menschen. Ist es das, was dich interessiert hat?«
    »Ich arbeite«, sagte Patricia, »aber innen drin, da ist alles wund. Vielleicht ist’s das.«
    Rasch wischte er sich die Augen aus. »Ich bin kein Eisbatzen«, verteidigte er sich. »Und es ist nicht fair, im Moment von mir mehr zu erwarten. Kannst du das verstehen?«
    »Merkwürdig«, sagte sie und hob die Hände ans Gesicht, als wollte sie seinem Beispiel folgen. Ihre Finger hielten an den glühenden Wangen inne. »Tut mir leid. Aber du bist mir gefolgt.«
    »Ich bin dir gefolgt. Belassen wir es dabei?«
    Patricia nickte verlegen. »Ich habe dich nicht für gefühllos gehalten.«
    »Gut.« Damit wandte Lanier sich um und ging rasch zur Cafeteria.
    In ihrem Zimmer drückte sie die Knöchel der Fäuste in die inzwischen trockenen Augen und versuchte, die Worte eines Liedes zu sprechen, das sie als Kind über alles geliebt hatte. Sie konnte sich nicht erinnern oder war sich zumindest nicht sicher, ob sie den Text richtig im Gedächtnis behalten hatte. Wo immer du bist, begann sie zaghaft zur Melodie, was immer du tust, ich folge dir…

 
19. Kapitel
     
    Patricia saß in einem Regiestuhl auf dem Flachdach der Frauenunterkünfte. Sie warf einen Blick auf die Datumsanzeige ihrer Armbanduhr, während im Lager des wissenschaftlichen Teams die Gäste zum Tanz kamen. In sieben Tagen sollte der Krieg ausbrechen.
    Alles ging viel zu schnell. Sie konnte Meinungen von sich geben, sich aber nicht hinreichend ihrer Gültigkeit vergewissern. Sie konnte Lanier beispielsweise sagen, daß der Stein nicht weit von seinem ursprünglichen Kontinuum entfernt sein könne. Die Vergangenheit des Steins und ihre jetzige Wirklichkeit unterschieden sich nicht grundsätzlich. Vielleicht nicht genug, um den Krieg zu verhindern.
    Vielleicht würde das Wissen der Sowjets um den bevorstehenden Krieg sie zur Umkehr bewegen und den Krieg verhindern…
    Vielleicht würde die Anwesenheit des Steins und der klare technologische Vorsprung, den er dem Westen einräumte, die Sowjets erst recht anstacheln…
    Vielleicht würde der Stein die von ihm ausgehende Wirkung schlicht wiederaufheben und somit ohne Folgen für die unmittelbare Zukunft der Erde bleiben…
    Carrolson und Lanier betraten das Lager. Patricia konnte sehen, wie sie Mitarbeiter begrüßten, die aus andern Kammern im Lager eintrafen.
    Das schorfige, wunde Gefühl in ihr war verklungen. Sie war weder zornig noch traurig. Sie fühlte sich überhaupt nicht richtig lebendig. Das einzige, woran sie noch Freude hatte, war der Zustand, das Wegtauchen in die Arbeit und Schwelgen in der Größe und Erhabenheit des Korridors.
    Trotz alledem müßte sie ihre Aufwartung machen. Das verlangte sie von sich. Sie hatte immer der Versuchung

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