Äon
widerstanden, das weltfremde Genie zu spielen und den Umgang mit anderen zu meiden. Dabei war der Drang dazu durchaus vorhanden: sie war gern allein, verkroch sich gern in eine Ecke zum Arbeiten. Der Gedanke, unter dem ewigen Röhrenlicht das Tanzbein zu schwingen (der Tanz wurde im Freien abgehalten) und Belanglosigkeiten auszutauschen – oder gar für einige Stunden aufs Karussell der Partnersuche zu steigen – erschreckte sie. Sie war sich nicht sicher, ob sie Haltung bewahren könnte oder vor Zorn und Ohnmacht in Tränen ausbrechen würde.
Sie ging die Treppe hinunter und verließ, die Hände in den Taschen, das Gebäude, wobei sie bewußt den Kopf höher trug, als sie sich unter die Massen mischte.
Zwei Soldaten, zwei Biologen und zwei Techniker hatten aus ausgemustertem Elektronikmaterial Synthesizer und elektrische Gitarren gebastelt. Seit Wochen ging das Gerücht, die Band sei annehmbar – vielleicht sogar gut. Obwohl heute ihr erster Auftritt vor Publikum war, stimmten sie cool ihre Instrumente und stellten mit geübter Hand die Anlage ein.
Von den Archäologen, die in Alexandria zugange waren, hatte man sich seltsame Boxen geschnorrt, die als Zeichen des guten Willens und Einvernehmens und als Versöhnungsgabe für die pingelige Schutzpolitik geopfert wurden. Die Boxen standen an den Ecken der rechteckigen Tanzfläche, eines für Anbauten ausgesparten Areals. Es waren keine Drähte, keine Kabel an den Boxen; die Musik wurde mit eigener Frequenz per Funk übertragen. Die Töne, die aus den Boxen kamen, klirrten etwas, waren ansonsten aber akzeptabel. Heineman betrachtete eins der Dinger und meinte: »Ich bin nicht sicher, was das ist. Aber’n Lautsprecher ist’s nicht.«
»Funktioniert doch, oder?« erwiderte Carrolson, die ihrem erhofften Tanzpartner nicht von der Seite wich.
Heineman gab ihr insoweit recht, als es das Funksignal in Geräusch umwandelte, wollte sich aber nicht weiter darüber auslassen. Diese Frage wurde also nie zur Genüge geklärt.
Unter dem immerwährenden Röhrenlicht legten Mitglieder des Sicherheitsteams mit Wissenschaftlern und Technikern ein Tänzchen aufs Parkett. Die sowjetische Gruppe, die sich zierte, stand geschlossen in einer Ecke. Hua Ling, Wu, Chang und Farley legten sich mächtig ins Zeug, obwohl auch sie von der Schließung erfahren hatten.
Die Band spielte für einige Runden älteren Hardrock, der nicht zur allgemeinen Stimmung paßte, so daß sie notgedrungen wieder auf moderne Musik zurückgriffen.
Patricia tanzte einmal mit Lanier, und zwar einen Japanischen Walzer, wie sie gerade aktuell waren. Als sie sich gegen Ende in den Armen wiegten, nickte Lanier geheimnisvoll und lächelte. Sie wurde beinahe rot. Als der Tanz zu Ende war, hielt er sie noch fest und sagte: »Nicht deine Schuld, Patricia. Du warst ganz toll. Ein richtiges Teammitglied.«
Sie trennten sich, und Patricia ging verwirrt zur Seite. Das Gefühl der Leere war verschwunden. Hatte sie wirklich Lob von Lanier erwartet? Offenbar; seine Worte schmeichelten ihr.
Nun bat Wu um einen Tanz, der sich als guter Tänzer entpuppte. Anschließend nahm Patricia wieder Platz und blieb bis zum Ende des Festes sitzen. In einer • Tanzpause kam Lanier zu ihr; er hatte eher hektisch mit einer ganzen Reihe von Partnerinnen getanzt – darunter Farley und Chang.
»Gefällt’s dir?« fragte er.
Sie nickte. Dann sagte sie: »Nein, eigentlich nicht.«
»Mir auch nicht, wenn ich ehrlich sein soll.«
»Du bist aber ein guter Tänzer«, meinte Patricia.
Lanier zuckte die Achseln. »Irgendwann muß man ja mal abschalten, was?«
Damit war sie nicht einverstanden. Es blieb so wenig Zeit. »Ich muß mit dir reden«, sagte sie.
»Jetzt, in der Freizeit?«
»Hier und jetzt, wenn’s dir recht ist«, fragte sie gleichzeitig. Der Lärm ringsum war so groß, daß niemand lauschen konnte.
»Warum eigentlich nicht hier?« meinte Lanier. Er sah sich nach Takahashi um; der stand auf der anderen Seite der Tanzfläche, weit weg von den Russen.
Patricia nickte. Es schossen ihr Tränen in die Augen. Da er ihr etwas Nettes gesagt hatte, war sie aufgetaut und würde nun kein Blatt mehr vor den Mund nehmen und ihren schlimmsten Befürchtungen Ausdruck verleihen. »Ich habe versucht zu berechnen, wie groß der Ruck war, den der Stein mit der Entstehung des Korridors abbekam.«
»Wie groß?« fragte Lanier, der die Leute, die in Hörweite passierten, nicht aus den Augen ließ.
»Nicht sehr groß«, erklärte sie. »Es ist
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