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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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suchte nach geeigneten Worten, bemüht, Enttäuschung, Zorn und Bitterkeit unter Kontrolle zu halten. »Ich bin den ganzen Tag in Drisiano gewesen«, sagte er, um überhaupt etwas zu sagen. »Habe dort den Jungen gesehen und mit Leuten gesprochen.«
    Für ein oder zwei Sekunden schaute Anna ihn an, als hätte sie andere Worte von ihm erwartet. »Oh, Raffaele. Ich habe ihn zum letzten Mal Anfang des Jahres gesehen, als ich einige Tage in Smeraldina verbrachte.«
    Anfang des Jahres, dachte Sebastian. Kurz nach ihrer Trennung. »Hast du dort deinen Geburtstag gefeiert?«
    »Ja. Mit einigen Freunden.«
    War Massimo auch da?, hätte Sebastian fast gefragt. Ihm fiel ein, dass er am achten Januar, als Anna zweiunddreißig geworden war, nicht angerufen hatte. Er hatte nicht einmal eine Karte oder E-Mail geschickt.
    Anna trug zwei Teller zum Tisch, den sie an die Terrassentür geschoben hatte. »Bringst du den Wein und die Gläser?«
    Es brannte sogar eine Kerze auf dem Tisch. Anna deutete nach draußen. »Wir hätten auf der Terrasse essen können, wo du so gern gesessen hast, aber ausgerechnet heute regnet es.«
    Blitze flackerten aus dunklen Wolken über dem Meer. Sebastian schenkte Wein ein und hob sein Glas. » Salute .«
    Anna hob ihrs, musterte ihn und sagte: »Freut mich, dass du gekommen bist, Bastian.«
    Die Spaghetti waren köstlich, und Sebastian versuchte, sich zu entspannen. Aber es gelang ihm nicht. Offenbar bemerkte Anna das, denn sie ergriff beim Gespräch die Initiative, erzählte
von gemeinsamen Freunden, ihrer Arbeit im Krankenhaus und wies auch darauf hin, dass sie am siebzehnten Juli das Grab ihrer Eltern besucht hatte, die an jenem Tag vor vier Jahren bei einem Autounfall ihr Leben verloren hatten - solche Dinge waren ihr wichtig.
    Nach dem Essen, beim zweiten Glas Wein, fragte sie schließlich sanft und ruhig: »Warum bist du gekommen, Bastian?«
    Die ehrliche Antwort hätte gelautet: Weil Wolfgang es so wollte, verdammt! Sebastian war klug genug, diese Worte für sich zu behalten, aber er konnte nicht verhindern, dass seine Unsicherheit in Aggressivität umschlug.
    »Warum fragst du das?«, erwiderte er fast trotzig und griff nach der Flasche.
    »Ich möchte es einfach nur wissen.«
    Sebastian nahm einen Schluck Wein und hätte das Glas am liebsten in einem Zug geleert. Er drehte den Kopf und sah durchs Terrassenfenster. Draußen wurde es dunkel. Lichter erschienen am Hang, und das Flackern von Blitzen war nun deutlicher zu sehen. Sebastian blickte in die beginnende Nacht und lächelte schief. »Ich muss mir in letzter Zeit so etwas wie eine persönliche Wolke zugelegt haben. Du weißt schon, wie in den Zeichentrickfilmen. Eine dunkle Wolke, die dauernd über mir schwebt, wohin ich auch gehe. In Hamburg hat’s in letzter Zeit so oft geregnet, und jetzt auch hier …«
    Anna musterte ihn und beugte sich ein wenig vor. »Bastian …« Er erinnerte sich daran, dass sie ihn damals »Bello Bastian« genannt hatte. »Du hast noch immer Schwierigkeiten damit, nicht wahr?«
    »Womit?«
    »Mit Worten. Du schreibst. Mit geschriebenen Worten verdienst
du deinen Lebensunterhalt. Aber das Sprechen fällt dir schwer. Beim zwischenmenschlichen Austausch bist du wie ein Eisberg, von dem nur die Spitze zu sehen ist.«
    Auch das war Anna: Sie konnte bei Kerzenschein Ausdrücke wie »zwischenmenschlicher Austausch« verwenden.
    »Warum bist du gekommen, Bastian?«
    Sebastian massierte sich mit der einen Hand die Schläfe und hob mit der anderen das Glas zum Mund. »Ich habe in den vergangenen Monaten oft an dich gedacht«, sagte er, aber die Worte klangen seltsam, wie von Notizen abgelesen.
    »Du weichst mir aus, Bastian«, sagte Anna und sah ihm in die Augen.
    »Ach, tue ich das?« Schmor in der Hölle, Wolfgang!, dachte er, trank erneut und setzte das Glas mit einem Ruck ab. »Was macht Massimo?«, fragte er und versuchte gar nicht, die Worte zurückzuhalten.
    Anna hatte sich vorgebeugt und lehnte sich jetzt langsam wieder zurück. »Wir sehen uns nur noch selten.«
    »Und wenn ihr euch seht?« Sebastian starrte ins Weinglas. »Was macht ihr dann? Springt ihr sofort ins Bett?«
    Draußen flackerte ein Blitz, und sein jähes Licht schien den Rest Wein in Sebastians Glas in Blut zu verwandeln. Donner grollte über den Hang.
    »Einmal«, sagte Anna leise, nach zehn oder fünfzehn Sekunden. »Es ist nur einmal passiert, Bastian.«
    »Ausgerechnet Massimo!« Der alte Schmerz war wieder da, und Zorn kochte hoch.

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