Äon - Roman
verließ den Raum und eilte durch den Flur, in dem Patienten warteten. Anna und Don Vincenzo folgten ihm nach
draußen. Es war kurz vor zehn Uhr morgens und etwa vierundzwanzig Grad warm. Die Sonne schien von einem fast wolkenlosen Firmament, Palmen reckten sich gen Himmel, und auf den Straßen herrschte das übliche Verkehrschaos. Sebastian breitete die Arme aus und drehte sich um die eigene Achse. »Alles ist schön, wunderschön. Anna … Darf ich dich für heute Abend zum Essen einladen? Was hältst du davon, wenn wir das › Gambero Rosso ‹ besuchen? Von dort aus hat man einen wunderschönen Blick aufs Meer …«
»Einverstanden. Ich reserviere uns einen Tisch.« Anna berührte Sebastian am Arm. »Ich muss jetzt zurück. Die Pflicht ruft. Bis heute Abend. Und Bastian …«
»Ja?«
»Ich freue mich.«
»Ich mich auch. Himmel, ich mich auch.«
Als sie zum Wagen des Priesters gingen, einem blauen Fiat Punto, schaltete Sebastian aus reiner Angewohnheit sein Handy ein und steckte es in die Hemdtasche. Die Luft roch würziger, die Farben waren kräftiger, Wind und Sonne angenehmer als jemals zuvor. Wenn dies Gottes Segen war, so hieß er ihn willkommen.
Er hatte gerade auf dem Beifahrersitz des Wagens Platz genommen, als sein Handy läutete. Er holte es hervor und stellte fest, dass mehrere Anrufe eingegangen waren. Alexander Torensen hatte am vergangenen Abend einige Male versucht, ihn zu erreichen, und eine Mitteilung wies darauf hin, dass er eine Nachricht hinterlassen hatte.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte Sebastian zum Priester, als Don Vincenzo den Punto vom Parkplatz auf die Straße lenkte.
»Oh, schon gut.«
Sebastian rief die Nachricht ab und hörte Torensens aufgezeichnete Stimme. »Hallo, Sebastian, ich bin’s, Alexander. Es geht um eine wichtige Sache. Bitt ruf so bald wie möglich zurück.« Er drückte die Rufnummer, hob das Handy erneut zum Ohr und wartete. Es klingelte mehrmals, und dann erklang eine Stimme, die er nicht kannte.
»Ja?«
»Wer sind Sie?«, fragte Sebastian verwirrt.
»Wer sind Sie?«
»Ich bin Sebastian Vogler, ein Freund von Alexander Torensen. Ich habe doch seine Nummer gewählt, oder?«
»Ja. Warum möchten Sie den Kommissar sprechen?«
»Ich habe Ihren Namen nicht verstanden«, sagte Sebastian, in dem sich Ärger regte.
»Das liegt daran, dass ich ihn noch nicht genannt habe. Ich heiße Roland Singerer.«
»Und was machen Sie mit Alexanders Handy, Herr Singerer?«
»Alexander Torensen ist tot. Er wurde gestern Abend ermordet. Ich ermittle in seinem Fall und auch in anderen. Wenn Sie mir jetzt bitte sagen würden, warum Sie Torensen sprechen wollten …«
»Er ist tot?« , fragte Sebastian fassungslos. Er sprach auf Deutsch und war ziemlich sicher, dass Don Vincenzo kein einziges Wort verstand, aber er musste dem Tonfall entnommen haben, dass es um etwas Ernstes ging. Der Priester sah besorgt zur Seite und blickte dann wieder auf die Straße. Sie fuhren nicht weit von der langen Uferpromenade entfernt; links glitzerte das Meer zwischen Kalabrien und Sizilien im Sonnenschein.
»Ja«, kam die Antwort aus dem Handy. Es folgten weitere Worte, aber Sebastian hörte sie nicht mehr. Er ließ das kleine Telefon sinken, drückte die rote Taste und unterbrach damit die Verbindung.
»Ist etwas passiert, Signor Vogler?«, fragte Don Vincenzo.
»Ein Freund von mir ist … ermordet worden.«
»Ermordet?«
»Ja. Ein Kommissar der Kriminalpolizei.« Sebastian versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Eben war er noch voller Freude darüber gewesen, das Leben neu entdecken zu können, und jetzt war der Tod plötzlich wieder präsent, auch wenn es nicht ihn selbst betraf. Er starrte auf das Display des Handys und stellte fest, dass auch Wolfgang Kessler angerufen hatte. Von ihm stammte eine SMS, und die Absenderinformationen zeigten, dass Wolfgang die Mitteilung spät in den Nacht geschickt hatte, nach seinem letzten Anruf. Sebastian rief den Text ab und las: Ruf mich an, Bastian, so schnell wie möglich. Es ist extrem wichtig.
Eine Zeit lang saß Sebastian wie gelähmt da, seine Gedanken vor Schock erstarrt. Dann packte ihn jähe Sorge. Hastig wählte er Wolfgangs Nummer, hob das Telefon ans Ohr und wartete ungeduldig.
Schon beim zweiten Klingeln wurde abgenommen. »Endlich, Sebastian! Ich …
»Meine Güte, für einen Moment dachte ich, es hätte dich vielleicht ebenfalls erwischt.« Er rieb sich die Schläfe, obwohl er nicht mehr an Kopfschmerzen litt - eine
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