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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Teufel? Engel und Dämonen?«

    Der Papst lächelte wieder, aber es war ein flüchtiges Lächeln, das schnell neuem Ernst wich.
    »Paradies und Hölle? Vielleicht muss beides existieren, damit die Dinge im Gleichgewicht bleiben. Möglicherweise ist das wichtiger als alles andere, sogar noch wichtiger als Wahrheit: Balance. Vielleicht ist eine Störung des Gleichgewichts schlimmer als Lüge, Ignazio.«
    »Warum sagen Sie mir das alles, Heiliger Vater?«
    »Das Gleichgewicht ist gestört, Ignazio«, sagte der Papst mit schwerer Stimme. »Gutes hat Böses geschaffen, zu viel davon. Dinge sind in Bewegung geraten, die viele Jahrhunderte geruht haben, und dadurch sind alte Wahrheiten bedroht. Wahrheiten, die nicht infrage gestellt werden dürfen. Deshalb brauche ich Ihre Hilfe. Sie sollen sich für mich um eine ebenso delikate wie gefährliche Angelegenheit kümmern.«
    Ignazio verstand sofort: Es handelte sich um etwas, in das Vatikan und Papst offiziell nicht verwickelt werden durften. »Natürlich, Heiliger Vater.«
    Der Papst hob die Hand. »Warten Sie, bis Sie wissen, worum es geht.« Er deutete auf die vielen Bücher, die sie umgaben. »Was wir hier sehen, ist nur ein kleiner Teil von dem, was einst existierte. Viel ist im Lauf der Zeit verloren gegangen. Brände, Kriege, Naturkatastrophen und böser Wille haben ganze Bibliotheken zerstört. Gerade im Mittelalter hat die katholische Kirche wichtige Bestandteile ihres Schriftguts verloren, darunter einen Brief, den Sophronius Eusebius Hieronymus im Jahr 412 nach Christus an Papst Innozenz I. geschrieben hat. Er enthielt eine Warnung. Achthundert Jahre später, im August 1212, las Papst Innozenz III. diesen Brief und nahm ihn zum Anlass, die Kinderkreuzzüge zu verraten. Er beschränkte sich nicht
nur darauf, ihnen keine Unterstützung zu gewähren. Er ging noch viel weiter und verschwor sich mit den damaligen Feinden des Christentums, den sarazenischen Muslimen im Heiligen Land, gegen die vielen tausend Kinder und Erwachsenen, die aus Deutschland und Frankreich nach Jerusalem ziehen wollten, um die Stadt wieder unter christliche Herrschaft zu bringen.«
    »Aber … Innozenz III. gilt als ein Papst mit vielen Verdiensten …«, begann Ignazio.
    »Vielleicht war dies sogar sein größtes. Nun, es gibt eine Kopie des Briefes, den Hieronymus damals schrieb. Sie stammt vom Ende des dreizehnten Jahrhunderts, und leider wissen wir nicht, wie vollständig sie ist. Kommen Sie, Ignazio.«
    Der Berater folgte dem Papst an den Bücherschränken vorbei zu einer Tür, die in ein kleines Lesezimmer führte. Regale bedeckten dort die Wände, voll weiterer Bücher. In der Mitte des Zimmers stand ein einfacher Tisch mit einem Sessel dahinter. Auf dem Tisch lagen mehrere Dokumente. Der Papst machte eine einladende Geste in Richtung Sessel.
    »Nehmen Sie Platz, Ignazio. Lesen Sie die Kopie des Briefes. Die anderen Unterlagen stehen damit in Verbindung. Vielleicht möchten Sie das eine oder andere nachschlagen.« Der Papst setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke des Zimmers. »Nur zu, Ignazio.«
    »Wie Sie wünschen, Heiliger Vater.«
    Ignazio Giorgesi nahm Platz, öffnete das direkt vor ihm liegende Dokument und begann zu lesen. Nach den ersten Absätzen war er verblüfft, blätterte in einem der anderen Dokumente und las Erläuterungen. Nach zehn Minuten wurde aus der Verblüffung Faszination, und nach zehn weiteren Minuten
verwandelte sich die Faszination in Entsetzen. Er las weiter und vergaß die Zeit. Als er schließlich aufsah und feststellte, dass der Papst noch immer in der Ecke saß, war mehr als eine Stunde vergangen.
    »Jetzt verstehe ich, warum Sie mich gefragt haben, ob ich an Gott glaube. Keine Wahrheit ohne Lüge … Haben Sie dies damit gemeint, Heiliger Vater?« Sie sprachen ausführlich über die betreffende Stelle im Brief des Hieronymus, und fast eine weitere halbe Stunde verging. Schließlich räusperte sich Ignazio, in dem noch immer großer Aufruhr herrschte, und fragte: »Es geschieht wieder?
    »Darauf deutet alles hin.«
    »Wann ist das Grab geöffnet worden?«
    »Das erste Mal?« Der Papst stand auf und trat zum Tisch. »Vor drei- oder viertausend Jahren. Wir wissen es nicht genau. Damals waren sie schwach, und das Grab konnte wieder geschlossen werden. Danach geriet es unglücklicherweise in Vergessenheit. Im dritten Jahrhundert nach Christus wurde es erneut entdeckt, offenbar von Grabräubern. Die Sechs waren noch schwächer, aber niemand erinnerte sich an

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