Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
sie. Niemand wusste, wie man sie in dem Grab festhalten konnte, und so entkamen sie. Und niemand wusste, wer oder was sie waren.«
    »Im Jahr 412 wusste man es.«
    »Ja«, bestätigte der Papst. »Sie versuchten, sich zu treffen, doch das konnte verhindert werden, was wir nicht zuletzt Hieronymus verdanken. Er erfuhr von ihnen in der Wüste Chalcis bei Aleppo in Syrien, wo er Hebräisch lernte. Als einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit erkannte er die Gefahr, stellte Nachforschungen an und warnte Papst Innozenz I.
Es war damals eine sehr primitive Welt, Ignazio. Lange Reisen kosteten viel Zeit, und die Sechs waren noch immer schwach. Sie brauchten die Nähe von Menschen, um stärker zu werden, aber die damaligen Städte waren nicht groß und lagen weit auseinander. All diese Probleme verhinderten ein für die Welt fatales Zusammentreffen.«
    Ignazio nickte langsam. »Es vergingen achthundert Jahre, und daraufhin bot sich ihnen eine neue Chance. Aber Innozenz III. erfuhr rechtzeitig davon … Waren die Sechs mit den Kreuzzügen der Kinder unterwegs?«
    »Davon gehen wir aus. Sie wurden damals stärker, denn es gab mehr Menschen und mehr Leid in der Welt. Innozenz musste verhindern, dass die Kreuzzüge der Kinder ihr Ziel erreichten, dann das Treffen sollte in Jerusalem stattfinden.«
    »Und jetzt … Es sind wieder achthundert Jahre vergangen, fast«, sagte Ignazio ernst. »Die Welt ist groß geworden.«
    »Und gleichzeitig klein. Selbst große Entfernungen lassen sich heute in kürzester Zeit zurücklegen, und es gibt viele Menschen auf der Erde. Ich glaube nicht, dass die Sechs heute noch so schwach sind wie damals. Sie werden versuchen, sich zu treffen.« Der Papst sah seinen Berater an. »Das sogenannte Wunder von Drisiano dürfte Ihnen bekannt sein …«
    »Der Junge namens Raffaele, der die Lahmen gehen und die Tauben hören lässt, wie einst Christus?«, fragte Ignazio erschrocken. »Glauben Sie …«
    »Er heilt die Kranken«, sagte der Papst. »Er hilft jenen, die zu ihm kommen und um seine Hilfe bitten. Es ist ein echtes Wunder, kein Zweifel. Aber offenbar wohnen in ihm Licht und Schatten eng beisammen, Ignazio. Die Menschen, die bei
ihm waren … Viele von ihnen sind wahnsinnig geworden und haben Schreckliches getan. Wir haben beschlossen, ihn von Drisiano fortzubringen, um Schlimmeres zu verhüten. Ich möchte, dass Sie sich um ihn kümmern. Ich kann mich nicht direkt damit befassen. Die Zeiten sind heute anders, und es gilt, das zu schützen, was bisher als wahr galt. Sie verstehen, was ich meine.«
    Ignazio blickte auf die Dokumente, nickte und stand auf. »Wo ist der Junge?«
    »Er trifft heute hier ein. Ich schlage vor, Sie greifen auf die Hilfe eines erfahrenen Exorzisten zurück. Gabriele Amorth …«
    »Seine Gesundheit ist stark angegriffen.« Ignazio begriff, den Papst unterbrochen zu haben. »Bitte, entschuldigen Sie, Heiliger Vater. Ich wollte nicht …«
    »Schon gut. Sprechen Sie mit Gabriele. Lassen Sie sich von ihm jemanden empfehlen.« Der Papst ging zur Tür und öffnete sie. »Ich bitte Sie ausdrücklich, bei dieser Angelegenheit … diskret zu sein, Ignazio.«
    »Selbstverständlich, Heiliger Vater.«
    Sie verließen das Lesezimmer und kehrten in die Bibliothek zurück. Tausende von Büchern aus der Vergangenheit warteten hier darauf, gelesen zu werden. Ihre Präsenz gab Ignazio das Gefühl, am Ende einer langen Treppe zu stehen, deren Stufen aus Jahrhunderten bestanden.
    »Einige Personen wissen Bescheid, aber nur Sie kennen die Hintergründe«, sagte der Papst. »Belassen wir es zunächst dabei.«
    »Natürlich, Heiliger Vater.«
    Der Papst hob die Hand und berührte seinen Berater an der
Stirn. »Gehen Sie mit meinem Segen, Ignazio. Möge Gott mit Ihnen sein.«
    »Danke, Heiliger Vater.« Ignazio Giorgesi verneigte sich und eilte fort.

22
    Riga, Lettland
    S ebastian blickte aus dem Fenster des Flugzeugs auf eine geschlossene Wolkendecke. Diese Welt erschien ihm einfach und überschaubar: oben ein Firmament, das immer blau blieb, unten die Wolken, sauber, schneeweiß, wie eine Decke, die jemand zwischen Himmel und Erde ausgebreitet hatte. Darunter erstreckte sich eine viel komplexere Welt, voller Widrigkeiten und böser Überraschungen.
    Lettland, dachte er, und plötzlich erschien ihm alles absurd. Simon Krystek - der Mann, von dem er sich Antworten erhoffte - hinterließ eine viel zu deutliche Spur, die nach Riga führte. Und Don Vincenzo hatte kurz vor seinem Tod den Namen

Weitere Kostenlose Bücher